Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers
gut, genauso wie jene des Baggerlochs, in dem die Leichen gefunden worden waren – nur ein Ortskundiger war in der Lage gewesen, in jener nebligen Nacht den Wagen mit den Opfern dorthin zu fahren – der Wagen von Wilfried Mehnert war vom Tatort weggeschafft worden, Reichenstein sollte dies auch im Fall Dr. Stürmann zumindest versucht haben – das Paar war von einem körperlich durchsetzungsfähigen und im Umgang mit Schusswaffen geübten Täter getötet worden, Reichenstein war ein Waffenexperte und Judokämpfer – Reichenstein konnte kein hieb- und stichfestes Alibi vorweisen – aufgrund seiner abnormen Persönlichkeit waren Reichenstein auch solche Schwerstverbrechen zuzutrauen, zumal er bereits ähnlich gelagerte Taten verübt haben sollte.
»Die Polizei hat das Menschenmögliche getan, um diesen Indizien nachzugehen«, bewertete der Staatsanwalt schließlich die Beweislage. »Nun muss ich anerkennen, dass die Indizien sich nicht in einer Weise verdichtet haben, dass sie zur sicheren Überführung Reichensteins in diesem Fall ausreichen. Das Ergebnis der Hauptverhandlung ist: Es kann nicht gesagt werden, wer im Fall Ingensandt/Mehnert der Täter gewesen ist!«
Raunen im Gerichtssaal. Hier und da waren empörte Zwischenrufe zu hören. Schließlich war Reichenstein insbesondere durch bestimmte Medien fachmännisch vorverurteilt worden – und jetzt das! Für die eingangs des Prozesses von der Schuld Reichensteins überzeugten Kripo und Staatsanwaltschaft schien sich ein Fiasko anzubahnen, der Boulevard indes hatte seine »Sensation«. Endlich! Fünf lange Wochen hatte man darauf warten müssen.
Alle Blicke richteten sich auf Reichenstein. Doch der stenografierte weiter, als sei nichts passiert. Er hob nicht einmal den Kopf.
Nachdem Staatsanwalt Scherf auch im zweiten Doppelmord sämtliche Indizien vorgetragen hatte, zog er sein Fazit: »Nimmt man das alles zusammen und setzt man Reichensteins Verhalten in der Hauptverhandlung hinzu, dann muss man zu der Überzeugung kommen, dass Reichenstein sich in dieser Tatnacht zum 7. Februar 1956 in seinem Revier am Strümper Busch befunden hat, dort auf das Paar gestoßen ist und den Überfall auf die beiden durchgeführt hat.«
Wieder wurde es unruhig im Saal.
Der Anklagevertreter gab sogar eine Rekonstruktion dieser Morde: »Ich persönlich bin der Ansicht, dass der Fall Kortmann/ Seiffert sich in folgender Weise abgespielt hat: Reichenstein riss die Wagentür auf und machte Seiffert durch einen gezielten Schuss in den Kopf kampfunfähig. Dann fesselte und knebelte er Helga Kortmann. Schließlich hat er ihr eine Zyankali-Spritze gegeben und sie beobachtet. Das Ergebnis dieser Betrachtungen wissen wir nicht. Auch wenn sich die Vergabe von Zyankali nicht beweisen lässt, ist dennoch aufgrund der Gesamtumstände und der Persönlichkeit Reichensteins davon auszugehen. Dann hat er seinen Opfern den Schädel eingeschlagen.«
Das Motiv leitete der Staatsanwalt »trotz seines hartnäckigen Leugnens« aus der Gesamtpersönlichkeit und dem Verhalten des Angeklagten her, auch vor Gericht: »Er mordete aus Lust an der Vernichtung von Leben, aus sadistischer Experimentierwut am lebenden Objekt, Raubgier und Grausamkeit.«
Reichenstein zeigte auch jetzt keine erkennbare Regung. Er machte sich lediglich fortwährend Notizen.
Nach drei Stunden und zehn Minuten formulierte Staatsanwalt Scherf schließlich die Strafanträge. Wie Hammerschläge fielen seine Worte in den Saal, als er das Strafmaß für Reichenstein verkündete: »gefährlicher Gewohnheitsverbrecher« – »lebenslanges Zuchthaus« – »Ehrverlust«. Überdies sollte die »unbefristete Sicherungsverwahrung« verhängt werden. Die Anklagevertretung hatte nicht eine drakonische Strafe gefordert, sondern die höchstmögliche. Es gab keinen Pardon, keine mildernden Umstände, keine Gnade. Obwohl die Todesstrafe abgeschafft worden war, drohte Reichenstein nun eine blutleere Hinrichtung. Denn »Lebenslänglich« konnte in diesem Fall tatsächlich den sicheren Tod hinter Gefängnismauern bedeuten. Bestenfalls durfte der 31-Jährige darauf hoffen, Jahrzehnte später entlassen zu werden: als alter Mann, als Greis – wenn er den harten Vollzug überhaupt solange überleben würde.
Der Angeklagte Büning sollte wesentlich besser wegkommen. Der Strafantrag lautete auf »eine Gesamtstrafe von vier Jahren und sechs Monaten Zuchthaus«. Die Staatsanwaltschaft hielt »mildernde Umstände für gegeben«, insbesondere das
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