Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers
Befragungen war nämlich herausgekommen, dass die junge Frau mit dem untadeligen Ruf vor eineinhalb Jahren bei Bekannten in Düsseldorf-Lintorf zu Besuch gewesen war und während einer Karnevalsfeier einen 22-Jährigen kennengelernt hatte. Der hatte Lieselotte später gemeinsam mit einem Freund mehrfach in Brilon besucht. Bevor sie Wilfried Mehnert begegnet war, hatte zwischen ihr und den beiden Männern ein »inniges, allerdings nicht intimes Verhältnis« bestanden, wie ihre Mutter versicherte.
Lieselotte Ingensandt war demnach eine kontaktfreudige, aufgeschlossene und lebenslustige Frau, »männlichen Bekanntschaften nicht abgeneigt«. Die Ermittler vermuteten nun, dass es noch weitere Beziehungen gegeben haben musste. Und da aufgrund der »körperlichen und sonstigen Beschaffenheit« der Leiche Lieselottes ein »Sittlichkeitsverbrechen« kategorisch ausgeschlossen werden konnte, die »erhebliche Gewaltanwendung« indes die Vermutung einer »Eifersuchtstat« nährte, hofften die Kriminalisten alsbald im Dunstkreis des Opfers auf jenen Mann zu stoßen, der urplötzlich hinter Wilfried Mehnert hatte zurückstehen müssen – und deshalb zum zweifachen Mörder geworden war.
»Ich fahre mit Liesel nur noch kurz in die Altstadt, wir sind in einer Stunde wieder zurück.« Die letzten Worte ihres Sohnes gingen Johanna Mehnert nicht mehr aus dem Kopf. Ihrem Mann erging es ähnlich. Beide waren unversehens und unfreiwillig zu Hauptdarstellern eines unsäglichen Familiendramas geworden. Die einunddreißig Tage der quälenden Ungewissheit, als Wilfried und Lieselotte noch vermisst wurden, waren für ihre Eltern nahezu unerträglich gewesen. Die Eltern Mehnert hatten engen Kontakt zur Kripo gehabt. Beharrlich war die Suche vorangetrieben worden. Herumgekommen war dabei allerdings wenig Handfestes, eigentlich nichts. Jeden Tag dieselbe Enttäuschung: »Wir haben noch kein Lebenszeichen.« Oder: »Nein, wir haben sie noch nicht gefunden.« Sie hatten unverdrossen gebangt, gehofft, gelitten, auch versucht, sich auf das Schlimmste vorzubereiten. Und doch hatte sie die Todesnachricht getroffen wie ein Keulenschlag.
Aber die niederschmetternde Bestätigung der schlimmsten Befürchtungen war auch eine schmerzhafte Voraussetzung gewesen, um mit der Trauerarbeit beginnen, um sie meistern zu können. Das Leben musste weitergehen. Irgendwie.
Hunderte Menschen säumten am 5. Dezember den Vorplatz und die Wege zwischen den anderen Gräbern, als Wilfried Mehnert auf dem Heerdter Waldfriedhof beigesetzt wurde. Die Beerdigung konnte erst so spät angesetzt werden, da die Kripo die Leiche aufgrund diverser rechtsmedizinischer Untersuchungen zuvor noch nicht hatte, freigeben können. Genauso war auch mit dem Leichnam von Lieselotte Ingensandt verfahren worden, die einen Tag vor ihrem Verlobten in Brilon beigesetzt worden war.
Wilfried Mehnert war im »Automobilclub«, dem er angehörte, außerordentlich beliebt gewesen. Sechs seiner Freunde, alle in langen Mänteln und mit schwarzem Zylinder, trugen den Sarg, hielten entgeistert die Totenwache. Die Gruft war durch unzählige Kranz- und Blumenspenden in ein leuchtendes Blumenmeer verwandelt worden. Mit einem weißen Fliederstrauß nahmen die Eltern Abschied von ihrem Sohn.
Doch zur Ruhe kommen konnten sie nicht. Das Martyrium hatte lediglich ein neues Gesicht aufgesetzt, eine hässliche Fratze. Solange der Täter nicht gefasst war, würden sie keinen Frieden finden. Aus dem Albtraum war ein Trauma geworden, das ungeklärte Verbrechen an Wilfried war jetzt der fruchtbare Nährboden für unerwünschte und ungeheuerliche Phantasien, die Mutter, Vater, Verwandte und Freunde heimsuchten. Einige Fragen waren beantwortet worden, doch dafür hatten sich neue aufgedrängt: Warum ist das überhaupt passiert? Warum gerade Wilfried? Hätten wir es vielleicht verhindern können? Hat er gelitten? Und besonders: Wer hat ihn umgebracht?
Die Mordkommission »Baggerloch« verfolgte mit gewissenhafter Pedanterie jede Fährte, auch wenn sie noch so absurd erschien. Täglich um 8 Uhr starteten mehrere Dienstwagen vom Präsidium aus in Richtung Stockum, Unterrath, Lohausen, Kaiserswerth, Tiefenbroich, Lintorf, Kalkum, Wittlaer. Die Beamten befragten Tausende von Bewohnern der kleinen Ortschaften in der Umgebung des Restaurants »Schnellenburg«, des Baggerlochs, entlang der möglichen Strecken, die der Täter gefahren sein konnte, und sie zeigten überall dort Fotos der Getöteten, wo sie Halt gemacht haben
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