Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers
wirklich Reichenstein unter der Maske?«, fragte der Richter noch einmal.
Büning nickte. »Ich kann nur sagen, wie es war.«
Wieder mahnte der Vorsitzende: »Es wäre furchtbar, wenn Sie jetzt einen Mann belastet hätten, der es gar nicht gewesen ist.«
Büning antwortete prompt: »Ich hätte keine Veranlassung, einem anderen etwas unberechtigterweise anzuhängen.« Dann hob der Angeklagte beide Hände. »Wer schwindelt, muss ungeheuer intelligent sein. Ich bin es nicht.«
»Es schwindeln aber auch Dumme, nur bekommt man es schneller heraus«, antwortete Dr. Näke.
Aber Büning blieb standhaft. »Ich habe kein Wort zu viel angegeben.« Dann fügte er noch ungefragt hinzu: »Am Tage nach der Sache mit Dr. Stürmann rief Reichenstein mich raus und gab mir Geld. Etwa 60 Mark. Er sagte auch, wenn er aufkippen würde, wäre ich reif.«
»Noch etwas?«
Der Angeklagte dachte kurz nach, er wirkte verunsichert, verlegen. Dann platzte es aus ihm heraus. »Wissen Sie, was der mit mir gemacht hat?«
Der Vorsitzende schüttelte den Kopf.
»Als wir auf dem Rückzug waren, hat er mir die Knarre an den Kopf gehalten. Er hat gesagt, ich sollte mein Testament machen, ich wäre jetzt fällig. Reichenstein wollte mich umbringen, weil ich den jungen Mann nicht erschossen hatte. Er hielt mir die Knarre vor den Bauch, und ich musste mich hinknien. Dann hat er mir die Knarre an den Kopf gehalten.« Büning formte mit seiner linken Hand eine Pistole und hielt sie gegen seine linke Schläfe. »So. Ich hatte Todesangst. Er hatte doch schon Dr. Stürmann erschossen. Ohne mit der Wimper zu zucken. Und dann hat er abgedrückt. Ich dachte: Jetzt ist es aus. Aber die Waffe war nicht geladen, er hatte die Patronen vorher herausgenommen.«
Dr. Näke konfrontierte Reichenstein mit den schwerwiegenden Anschuldigungen Bünings. Doch außer den bereits Jahre zuvor eingeräumten Viehdiebstählen gab er nichts zu. Ob er nicht doch Autofallen aufgestellt habe, wurde er gefragt. Seine Antwort: »Das habe ich erst bei der Polizei erfahren. Ich bestreite es ganz entschieden, mich insofern schuldig gemacht zu haben.« Ob er seinen Mittäter angestiftet habe, Liebespaare zu überfallen? Reichenstein: »Büning lügt, soweit ich als Täter in Frage komme.« Und ob er Dr. Stürmann erschossen habe? Spontan, aber ruhig antwortete Reichenstein lakonisch: »Habe ich nichts mit zu tun.«
Das Gericht hatte Aussagen gehört, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Beide hatten sich auf einem Schießplatz kennengelernt. Reichenstein behauptete: »Anfang Januar 1953.« Büning sagte: »Im Frühherbst 1952.«
»Wir hatten gemeinsame sportliche Interessen«, bekundete Reichenstein. »Er hat mich hörig gemacht und plante mit mir alle möglichen Gewaltverbrechen«, entgegnete Büning. So ging es hin und her. Richter und Geschworene hatten Mühe, sich im Labyrinth der Lügen zurechtzufinden.
Der Vorsitzende wandte sich abschließend nochmals an den Hauptangeklagten und warnte ihn eindringlich mit den Worten: »Sie scheinen zu meinen, Herr Reichenstein, man könne eines Verbrechens nur dann überführt werden, wenn Zeugen da sind. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie sich in diesem Fall irren. Sie verstehen das Prozeßverfahren offenbar nicht.« Dann vertagte sich das Gericht.
28
4. November 1959, zweiter Verhandlungstag.
Wie am Tag zuvor schon sollten die beiden Angeklagten vernommen werden. Zunächst wurde Fritz Büning aufgerufen. Er sollte über den Raubüberfall auf ein Liebespärchen im Meererbusch am 4. Mai 1956 berichten, begangen von ihm selbst – und Erwin Reichenstein.
Büning begann zu erzählen: »Wir wollten nach einem Bock schauen, den Reichenstein am Tag vorher wundgeschossen hatte. Da lockte uns ein Lichtschein auf einen Seitenweg. Dort lagen zwei Leute. Beide hielten eine brennende Zigarette in der Hand. Plötzlich ließ Reichenstein hinter mir seine Taschenlampe aufblitzen. Ich hörte den Hahn seiner Pistole knacken und bekam ein gewaltiges Schreckensgefühl …« Büning stockte, suchte nach Worten. Dann schwieg er.
»Herr Büning, was ist dann passiert?«, fragte der Vorsitzende.
Der Angeklagte stierte auf den Boden. »Ich …« Mehr brachte Büning nicht heraus. Die Zuschauer begannen zu tuscheln.
Plötzlich sprang der Verteidiger des Angeklagten auf. Sichtlich erregt rief Dr. Lützenrath seinem Mandanten zu: »Los, Büning, Sie müssen alles erzählen. Sie müssen sagen, was in Ihnen vorging, als Sie hinter sich die
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