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Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers

Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers

Titel: Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbot
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Vertreters der jüdischen Gemeinde vorgelegen, dass sein Kraftfahrer samt Wagen spurlos verschwunden sei. Wenig später sei der Wagen »herrenlos und mit großen Blutlachen« in der Innenstadt gefunden worden.
    Privatdozent Dr. Heinz Otten, der alle Opfer obduziert hatte, erläuterte anschließend als medizinischer Sachverständiger die Todesumstände. Der Experte erklärte, das Paar Ingensandt/ Mehnert sei ertrunken. Beide Opfer hätten jedoch »schwerste Schädelfrakturen« aufgewiesen, die »ohnehin zum Tod geführt hätten«. Die zerrissenen Kleider und das zerschundene Knie der Frau ließen den Schluss zu, dass sie sich von dem Täter habe losreißen wollen, dabei aber gestürzt sei. Den Zeitraum zwischen Schädelverletzung und Ertrinkungstod schätzte Dr. Otten auf »etwa zehn Minuten«.
    Im Fall Kortmann/Seiffert wies der Gutachter auf Parallelen zum Mord an Dr. Stürmann hin: »Der Schuß auf Peter Seiffert ist fast genau in der gleichen Weise abgegeben worden wie auf Dr. Stürmann. In beiden Fällen hat der Täter von vorne links auf das Gesicht des Fahrers des Kraftwagens geschossen. Das Projektil ist an der gleichen Stelle, dem linken Unterkiefer aufgetroffen und hat fast genau die gleiche Bahn durch den Kopf bis in die Nackengegend genommen. Der Unterschied, daß bei Dr. Stürmann zwei Halswirbel zertrümmert und das Rückenmark verletzt worden ist, während das Geschoß, von dem Peter Seiffert getroffen worden ist, dicht vor der Wirbelsäule steckenblieb, beruht darauf, daß einmal mit einer Waffe des Kalibers 9 Millimeter, das andere Mal mit einer solchen vom Kaliber 5,6 Millimeter geschossen worden ist.«
    Doch was besagte diese Übereinstimmung? Dass ein Mensch sich in vergleichbarer Situation ähnlich verhalten hatte? Oder dass zwei Menschen gleichartige Entscheidungen getroffen und entsprechend gehandelt hatten? Beide Versionen erschienen durchaus plausibel – aber nur eine konnte zutreffend sein.
    Der Schuss auf Dr. Stürmann war ein aus Sicht des Täters erfolgreicher gewesen. Das Opfer war sofort kampfunfähig gemacht worden und später gestorben. Wenn Reichenstein den Schuss abgegeben hatte, lag die Vermutung nahe, er habe sich an der einmal profitabel angewandten Methode nicht nur orientiert, sondern sie imitiert und deswegen auch Peter Seiffert so getötet. Aber vielleicht resultierten die Parallelen lediglich aus den besonderen Umständen (ein im Auto sitzendes Opfer), die den oder die Täter zu einem bestimmten Verhalten (Schuss seitlich von links in den Kopf) genötigt und zwangsläufig ein ähnliches Tatbild (Einschuss in der unteren Gesichtshälfte) generiert hatten. Aber auch wenn das Gericht sich für die erste Variante entscheiden würde, wäre damit nicht viel gewonnen. Denn es fehlten bislang weitere Verdachtsmomente, die überdies eine geschlossene Indizienkette würden ergeben müssen.
    Dem Aussageverhalten und Auftreten der Angeklagten kam in diesem Prozess eine besondere Bedeutung zu, da bestenfalls Teilgeständnisse vorlagen. Insbesondere die Geschworenen liefen dabei Gefahr, sich auch von subjektiven Eindrücken beeinflussen zu lassen. Insbesondere der Angeklagte Reichenstein schien sich dieser Möglichkeiten in besonderem Maße bewusst zu sein. Er mimte die personifizierte Unschuld, blieb stets höflich, versuchte möglichst unbefangen zu wirken. Und diese Strategie war nicht einmal schlecht gewählt. Denn er musste die Geschworenen nicht von seiner Unschuld überzeugen, es genügte, wenn er berechtigte Zweifel aufkommen ließ. Dann würden sie ihn nicht verurteilen dürfen und nicht verurteilen können – nicht wegen Diebstahls, nicht wegen Raubes, schon gar nicht wegen Mordes.
    Weil so wenig von diesem Angeklagten zu erfahren war, richtete sich das Augenmerk der professionellen Prozessbeobachter insbesondere auf das Verhalten Reichensteins. Würde er sich irgendwann durch eine spontane Geste oder unkontrolliertes Mienenspiel verraten? War ihm die unterstellte mörderische Passion anzusehen? Verhielt er sich gar wie ein typischer Mörder? Gibt es überhaupt eine Norm für das Verhalten eines Menschen im Kessel der schwersten Beschuldigungen?
    Nach jedem Prozesstag waren derlei Erkenntnisse und Erfahrungen in den Tageszeitungen nachzulesen. So schrieb die Neue Ruhr Zeitung : »Erwin Reichenstein konnte auch am siebten Tag des Schwurgerichtsprozesses, in dem er sich wegen fünffachen Mordes zu verantworten hatte, noch lächeln. Wenn ein unvoreingenommener Betrachter, der

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