Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers
Verfahren nicht durch Privatvernehmungen von Zeugen oder Geschworenen zu erschweren. Man hört da so seltsame Dinge. Das alles hier ist schwer genug. Nehmen Sie bitte von Ihren bisherigen journalistischen Gepflogenheiten Abstand. Ich danke für Ihr Verständnis.«
Nach zweiwöchiger Prozessdauer wurden erstmals die Doppelmorde direkt verhandelt. Als erster Zeuge wurde Horst Lemper aufgerufen. Der Hauptkommissar hatte die Ermittlungen solange geleitet, bis Körper und Geist vollkommen ausgezehrt gewesen waren.
»Schon in den frühen Morgenstunden des 2. November 1955 kam Frau Mehnert zu uns und erstattete Vermisstenanzeige«, berichtete der 54-Jährige. »Vier Wochen lang suchte mich Frau Mehnert jeden Tag auf und fragte voller Sorge: ›Was ist mit meinem Sohn? Was ist mit seiner Braut?‹ Wir haben uns sehr viel Mühe gegeben mit den Nachforschungen. Wir dachten erst, der junge Bäckermeister Mehnert, der in der nebligen Nacht im Wagen seines Vaters mit seiner Braut noch ein Lokal in der Altstadt aufsuchen wollte, sei Opfer eines Verkehrsunfalls geworden. Später suchten wir den Rhein ab, vernahmen Dutzende von Zeugen, beobachteten das Postscheckkonto der Braut, ob etwas abgehoben wurde. Aber vier Wochen war alle Suche vergeblich. Dann sind die Leichen zufällig gefunden worden.«
Der Fuhrunternehmer Hermann Rosell hatte den Wagen vier Wochen nach dem Verschwinden der Opfer in einem Baggerloch bei Kalkum entdeckt. »Auf einmal erkannte ich, dass da Menschen drin waren«, erinnerte sich der Zeuge, dem auch vier Jahre nach diesem albtraumhaften Erlebnis die Stimme zitterte. »Das Mädchen sah so jung aus. Beide Leichen waren furchtbar zugerichtet und lagen auf dem Rücksitz. Ich benachrichtigte gleich die Polizei.«
Dr. Näke rief als Nächsten den Vater des Ermordeten auf. Bedächtig und exakt schilderte der grauhaarige Mann, was er noch vom Abend des 31. Oktober 1955 wusste. Der 62-jährige Bäckermeister hatte in dieser Nacht seinen einzigen Sohn verloren, anderthalb Jahre später war auch seine Frau gestorben. »Zu viert waren wir in die Stadt gefahren, mein Sohn, seine Freundin, meine Frau und ich. Dort trennten wir uns. Meine Frau und ich gingen ins Apollotheater, die jungen Leute fuhren ins Nachtlokal Csikós.«
Um Mitternacht seien die Eltern von ihrem Sohn in der Stadt wieder abgeholt worden. Aber das junge Paar hätte noch nicht nach Hause gewollt. Die Eltern seien schließlich zu Hause abgesetzt worden, Sohn und Verlobte seien wieder zurück in das Lokal ›Csikós‹ gefahren, »weil dort eine lustige und angenehme Gesellschaft auf sie wartete«. Dann berichtete der Zeuge noch von mysteriösen Vorkommnissen: »Am ersten Abend nach der Tat, als außer uns und dem Mörder noch niemand wissen konnte, dass Wilfried vermisst wurde, bekamen wir einen Anruf. Eine spontane, eindeutig verstellte Stimme stieß eine Flut von Beleidigungen gegen meinen Sohn und meine Frau hervor und sagte dann: ›Es ist gut, dass das Schwein kaputt ist!‹« Der ominöse Anrufer habe sich noch einige Male »mit ähnlichen Beleidigungen« gemeldet, zuletzt Heiligabend 1955.
Den Ermittlungsbehörden waren die Anrufe zunächst nicht mitgeteilt worden. Erst kurz vor Weihnachten hatten die Eltern Mehnert die Kripo informiert. Aber als die Kontrollverbindung durch die Post hergestellt worden war, hatte der Mann sich nicht mehr gemeldet.
Nur der Mörder konnte zum Zeitpunkt des ersten Anrufs vom Tod des Brautpaars gewusst haben. Hatte er – also Erwin Reichenstein (oder eventuell sein Komplize?) – sein grausames Spiel weitertreiben, die Eltern demütigen wollen? Nur: Die Hinterbliebenen der übrigen Mordopfer waren von derlei Beschimpfungen gänzlich verschont geblieben. Und der Anrufer hatte in keinem Telefonat Details preisgegeben, die nur der Täter kennen konnte. Es war nicht einmal von einem Verbrechen die Rede gewesen. Er hatte sich mit schlichten Hasstiraden begnügt – und dabei ein sehr persönliches Bedürfnis befriedigt, vielleicht sogar eine pathologische Fixierung offenbart. Jemand, der sich daran ergötzt, anderen Menschen Angst zu machen, sie zu schockieren. Und wer so etwas tut, macht es immer wieder, muss es repetieren, nutzt jede sich bietende Gelegenheit. Wenn der obskure Anrufer der »Liebespaar-Mörder« gewesen wäre, dann hätte er den Telefonterror auch mit den Familien Ingesandt, Kortmann und Seiffert treiben müssen. Aber er rief nicht an.
Fritz Büning sagte nun zum Mord an Lieselotte Ingensandt und
Weitere Kostenlose Bücher