Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers
nicht weiß, worum es in diesem Prozeß überhaupt geht, seine Eindrücke von diesem Angeklagten schildern sollte, würde er wohl sagen: Der junge Mann macht einen guten Eindruck. Und wirklich, wenn der 31jährige vor Beginn der Sitzung von einem Polizeibeamten in die umzäunte Anklagebank geführt wird, möchte man annehmen, in diesem Saal werde irgendeine belanglose Zivilklage verhandelt. Lächelnd begrüßt er, nachdem er seine Handakten weggelegt hat, seine beiden Verteidiger und unterhält sich mit ihnen in der Art, wie man eben über Belangloses plaudert. Beeindruckt ihn die Schwere der Anklage überhaupt nicht? Kann ihn das alles kalt lassen, wenn er ein reines Gewissen hat?«
Bild wusste natürlich die Antwort und überführte Reichenstein kurzerhand des mehrfachen Mordes – via Telepathie: »Jedes Wort während der Verhandlung stenographierte er. Ein einziges Mal vergißt er es. Er schließt die Augen, und sein Gesicht bekommt einen träumerischen Ausdruck – als der medizinische Gutachter Einzelheiten über den Tod der ermordeten zwei Liebespaare mitteilt. Das Grauenhafte, das im Schwurgerichtssaal über das Ende der vier jungen Menschen erörtert wird, scheint Reichenstein in eine gehobene Stimmung zu versetzen: Er lächelt hinter geschlossenen Lidern … «
Zutreffender beurteilte die Rheinische Post den Stand der Dinge: »Reichenstein ist bestimmt kein unbeschriebenes Blatt, aber mit einem Indiziennetz, das fast nur aus Löchern besteht, ist er nicht zu fangen.«
34
17. November 1959, achter Verhandlungstag.
Der Korridor vor dem pompösen Schwurgerichtssaal ähnelte einem Wandelgang in einer Gemäldegalerie. Hinter der eleganten Glastür wartete eine freundlich lächelnde Garderobenfrau auf Hüte und Mäntel. Die Kontrolleure der Eintrittskarten unterschieden sich von ihren Kollegen in Theatern und Museen nur durch ihre Polizeiuniform. Links vom Eingang zum Tribunal verdeckte ein gewaltiges Gemälde die Wand: verdammte Leiber in verzweifelter Verschlingung und darüber erlöste, befreite Seelen – das jüngste Gericht.
Im Gerichtssaal standen auf langen Tischen neben Einmach- und Marmeladegläsern, Bier-, Mineralwasser- und kleine Medizinflaschen, in denen Reichenstein Zyankali, Salzsäure, Strychnin, Blausäure und andere hochgiftige Flüssigkeiten aufbewahrte, und eine der großen Milchkannen, in denen er mit Vorliebe seine Waffen eingegraben hatte. Überdies wurden ein grüner Tarnanzug und andere Kleidungsstücke, die von dem Angeklagten bei seinen nächtlichen Streifzügen getragen worden waren, präsentiert, dazu Pistolen, Gewehre, Munition, Dolche, Messer, Totschläger und selbstgefertigte Teile von zwei Maschinenpistolen.
Bei den Chemikalien handelte es sich nach dem Gutachten der Sachverständigen um Substanzen, die in vielen Laboratorien zu finden seien. Auffällig erschien einem Sachverständigen jedoch Reichensteins Vorliebe für chemische Literatur, die sich mit Betäubungsmitteln befasste. »Der Angeklagte hat sich ausschließlich mit Chemikalien beschäftigt, die zum Angriff auf Menschen geeignet sind«, resümierte der Experte.
Auf die Frage des Vorsitzenden, warum er all die Aufzeichnungen über die Herstellung von Betäubungsmitteln gemacht habe, antwortete Reichenstein, dass er sich dafür interessiert habe und es habe ausprobieren wollen.
»Sie haben es ausprobiert, wie wir es von Büning gehört haben, oder bestreiten Sie immer noch?«, fragte Dr. Näke.
Reichenstein antwortete wie immer: »Das bestreite ich ganz entschieden.«
Der Vorsitzende zeigte mit einer Handbewegung zu den Tischen mit den Asservaten: »Wenn wir insgesamt sehen, was da vor uns steht, was sagen Sie dazu?«
Der Angeklagte erwiderte, ohne zu zögern: »Ich habe mich auch für Waffen interessiert. So sehr, dass ich in der Untersuchungshaft ein Patent an einer Waffe erfunden und es auch angemeldet habe.«
Dann wurde ein Waffensachverständiger dazu gehört, ob das im Körper von Peter Seiffert gefundene Projektil aus einer der Waffen Reichensteins stammte. Der Schuss auf das Opfer sei »aus einer Pistole des Kalibers 5,6 Millimeter mit Linksdrall« abgegeben worden, erklärte der Gutachter. Doch es sei »nicht mit Sicherheit« festzustellen, dass eine der sichergestellten Pistolen die Mordwaffe sei – beide Pistolen kämen lediglich »als Tatwaffe möglicherweise in Frage«. Ein wissenschaftlicher Beweis sei nicht möglich, weil »das Tatgeschoß zu stark deformiert« gewesen sei.
Schließlich
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