Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers
zu beweisen, dass er nicht ausreißen wollte«. Sogar ins Kino sei der Angeklagte gegangen, »natürlich in Begleitung«.
Das war starker Tobak. Hatten die Ermittler Büning mit »Sonderkonditionen« und anderen Vergünstigungen zu einem Geständnis gedrängt? Ihn vielleicht sogar zu einer Falschaussage verleitet? – wie es Heinz Peters andeutete, ohne konkret zu werden. Auch der Vorsitzende fand das »sehr ungewöhnlich«. Und in einer Prozesspause zeigte sich ebenso der Polizeipräsident »sehr überrascht«. Ein Tiefschlag für die Ankläger, die Glaubwürdigkeit ihres Kronzeugen war nachhaltig torpediert worden.
Damit nicht genug. Jetzt war Dr. König an der Reihe, er stellte neue Beweisanträge: Ernst Littek solle noch einmal vernommen werden – diesmal »unter dem Verdacht der Beihilfe zum Mord«. Auch die beiden Brüder von Büning wurden plötzlich verdächtigt, bei dem Raubüberfall auf das Liebespärchen am 4. Mai 1956 im Meererbusch »an Stelle des Angeklagten Reichenstein beteiligt gewesen zu sein«. Dann erinnerte der Verteidiger an den Liebespaar-Mord im Februar 1958 in Opladen: »Selbst die Experten der Kriminalpolizei haben gravierende Übereinstimmungen zu den Doppelmorden in Düsseldorf festgestellt. Mein Mandant kann aber nicht der Täter gewesen sein, er saß in Untersuchungshaft!« Und schließlich kündigte Dr. König einen neuen Entlastungszeugen an, der erklärt haben sollte: »Reichenstein war nicht der Liebespaar-Mörder. Den wirklichen Täter fangen die nie, weil er zu schlau ist.«
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»Reichenstein bestreitet noch immer«, »Keine Geständnisse an den Tatorten«, »Sechsstündige Tatortbesichtigung erbrachte nichts Neues«, »Lokaltermine im Reichenstein-Prozeß abgeschlossen«, »Fällt die Bastion Reichenstein?«, »Vertagung des Liebespaar-Prozesses«.
Die Schlagzeilen der Tagespresse kommentierten zutreffend, was das Gericht während der zwei vorangegangenen Verhandlungstage vergeblich versucht hatte: Licht ins Dunkel zu bringen, Klarheit zu schaffen. Sieben Lokaltermine waren durchgeführt worden. Doch das Ergebnis war ernüchternd – Reichenstein war an den Tat- und Leichenfundorten scheinbar völlig unbeeindruckt geblieben. »Damit habe ich nichts zu tun«, sagte er an der Rheinpromenade, wo Dr. Stürmann getötet worden war. »Ich kenne das Gelände nicht einmal«, behauptete er an dem inzwischen zugeschütteten Baggerloch, in dem man die Leichen von Lieselotte Ingensandt und Wilfried Mehnert gefunden hatte. Und: »Alles frei erfunden«, erklärte er auf dem Acker neben der Straße in Kalkum, auf der er gemeinsam mit seinem damaligen Freund Martin Zenker Autofallen gelegt haben sollte.
Auf der moralischen Anklagebank saßen indes die Ehefrauen der mutmaßlichen Räuber und Mörder – oder sie empfanden so. Klara Reichenstein gab dem Werben der Neue Ruhr Zeitung nach und offenbarte, warum sie sich von ihrem Mann abgewandt hatte: »Was denken Sie denn – würde jemand von den Nachbarn noch mit mir sprechen, wenn ich zu ihm halten würde! Die Menschen lesen doch Zeitungen. Und was denken Sie, was mit meinen Kindern geschieht, wenn er verurteilt wird und wenn man denkt, dass ich selbst mit ihm unter einer Decke stecke! Sonja müsste dieses Jahr in die Schule. Ich kann sie unmöglich hinschicken. Das Einzige, was ich machen kann, ist, dass ich von hier wegziehe und die Kinder auf meinen Mädchennamen umschreiben lasse. Ich habe schon einen Antrag gestellt. Wenn sie keinen Vater haben, das ist auch schlimm, aber immer noch besser, als wenn sie so einen Vater haben.« Auch die Schuldfrage war für die desillusionierte Frau längst entschieden: »Er war es. Na klar!«
Ganz anders reagierte Lore Büning. Die 28-jährige Hausfrau gab keine Interviews und ließ über den Anwalt ihres Mannes lediglich erklären, dass sie an seine Unschuld glaube und zu ihm halten werde.
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25. November 1959, elfter Verhandlungstag.
Der Auftakt versprach Spannung. Zwei Zeugen sollten aussagen – und Reichenstein entlasten. Zunächst wurde Willi Konrads aufgerufen. Der 28-jährige Elektriker hatte selbst schon im Verdacht gestanden, der »Liebespaar-Mörder« zu sein. Seine Frau – von der er inzwischen geschieden und die in Hamburg untergetaucht war – hatte nämlich seinerzeit bei der Kripo erklärt, ihr Mann sei nachts mit blutbeschmiertem Mantel nach Hause gekommen und habe erzählt, er kenne den wirklichen Liebespaar-Mörder. Reichenstein sei jedenfalls nicht der Täter, den wirklichen
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