Der Liebespakt
Berliner Altbauwohnungen oft von ganz hinten in das Zentrum der Wohnung, ins Berliner Zimmer, gewandert war. Dann ein unauffälliger schmaler Durchgang in den privaten Schlafteil der Wohnung. In diesen Wohnungen führte traditionell ein langer dunkler Schlauchflur zu den Schlafzimmern, zum Badezimmer und Arbeitszimmer. Hier war der Flur dank Oberlichtern allerdings deutlich heller und freundlicher als in einem Altbau, aber genauso lang und schmal. Sebastian Koch betrat den Flur, niemand
hielt ihn davon ab. Wer auch? Die Jungbluths saßen in ihrem Interview fest, kein Pressemensch des Konzerns war zu dem Termin erschienen - vermutlich weil eine Homestory unter der Rubrik »privat« lief, natürlich eine eklatante Fehleinschätzung - und dem Fernsehvolk war es egal, was er gerade tat. An der linken Wand befanden sich einige Einbauschränke, und Sebastian Koch öffnete die Schranktüren ein wenig: Staubsauger, Putzeimer, Putzlappen. Es war sonnenklar, die Jungbluths bezahlten jemanden, der die Wohnung sauber hielt. Eine Perle aus Russland oder Polen. So war das in Berlin doch immer. Vermutlich arbeitete die Dame schwarz. Aber eine schwarzarbeitende Putzfrau, diese Nachricht lockte heutzutage keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor.
Rechts kam eine erste Zimmertür. Sebastian drückte sie auf und ging hinein. Das Schlafzimmer, zwar modern, aber mit einer ungewöhnlichen Wandtextur. Die Wände waren mit Platten aus hellem Holz verschalt, was dem Zimmer eine große Wärme gab. Die Größe der Platten, die Eleganz des Holzes und die Betonung der Fugen ließen erst gar kein Finnensaunagefühl aufkommen, das man sonst hatte, wenn Innenräume mit Holzpaneelen verkleidet werden. In der Mitte des Raumes stand das große Bett. Irgendetwas fiel Sebastian Koch auf, eine Unstimmigkeit, die er noch nicht benennen konnte. Auf dem Nachttisch lagen viele ältliche Bücher, es war vermutlich ihre Seite des Bettes, denn auf seiner Seite war alles leer, nur eine kleine Uhr und eine Lampe standen dort. Sebastian Koch schaute sich die Titel der Bücher an - »Mamsell Unnütz«, »Ein armes Mädchen«, »Herzenskrisen«, »Reichsgräfin Gisela« und »Die Frau mit den Karfunkelsteinen«. Die antiquarischen Bücher sahen vollkommen fremd aus in dieser modernen Designumgebung. Als gehörten sie hier nicht hin. Etwas abseits lag ein modernes Buch, darauf stand ein Rotweinglas. Der Satz
am Boden des Glases war noch flüssig. Sebastian Koch hob das Rotweinglas hoch und erkannte Lippenstiftspuren am Rand. Auf dem Buch hatte das Glas einen Rotweinring hinterlassen. »300 Fragen zur Schwangerschaft«. Das war ja eine aparte Lektüre zum Wein.
Wie sah es im Badezimmer aus, das unmittelbar ans Schlafzimmer anschloss? Die Tür stand offen. Im Zahnputzbecher stand nur eine Zahnbürste. Kein Rasierapparat, kein Herrenkamm. Ihre Kosmetik, ihre Schminke lagen auf der Badezimmerkonsole. Außerdem Aspirin-Migräne, Schmerztabletten, Schlaftabletten. Keine Vitaminpräparate, keine Folsäure, nichts von dem, was sonst Schwangere während der neun Monate zu sich nahmen. Sebastian Koch machte ein Foto mit seiner Digitalkamera. Dann ging er zurück ins Schlafzimmer.
Plötzlich war Sebastian Koch klar, was ihn eben beim Anblick des Bettes irritiert hatte. In dem breiten Ehebett lagen nur eine Zudecke und nur ein Kissen. Sollte das Ehepaar Jungbluth etwa getrennt unter einem Dach leben? Oder war das nur Zufall? Womöglich war Georg Jungbluth auf Geschäftsreise gewesen und seine Frau hatte sein Bett ausgelüftet. Das würde auch die fehlende zweite Zahnbürste erklären.
Der Jagdinstinkt von Sebastian Koch war geweckt. Leise schloss er die Tür zum Schlafzimmer und drang tiefer in den Flur hinein. Als Nächstes kam ein Zimmer zur linken Seite. Er erkannte gleich, hier musste es sich um Georg Jungbluths Arbeitszimmer handeln. Der Raum wurde offensichtlich wenig benutzt. Auf dem Schreibtisch sah er aus der Ferne einen in Leder gebundenen Terminkalender, aber es blieb keine Zeit, ihn durchzublättern. Es lagen noch zu viele andere Türen vor ihm, hinter die er noch schauen musste. Er zog die Arbeitszimmertür wieder zu.
Auf das Arbeitszimmer folgte das Gästezimmer, wieder mit
angeschlossenem Bad. Dieses Zimmer war bewohnt. Und wie es bewohnt war! Hier hatte sich jemand häuslich eingerichtet - und dieser jemand konnte nur Georg Jungbluth sein. Niemals würde sich ein Gast trauen, sich so leger in einer fremden Wohnung zu benehmen. Auf dem Boden türmten sich
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