Der Liebessalat
Yorker Atlantic Studios des ehrenwerten Nesuhi Ertegun aufnahm, war keineswegs so kaltkriegerisch depressiv, wie es immer hieß, stellte man an so einem Vormittag vielleicht fest, enthielt er doch die charmant gereimte Aufforderung an Gott: »Don’t drop it! Stop it! Bebop it!« Bei Fragen nach besonders schmissigen Versionen von Bob-Dylan-Songs waren ein Diplomat in Rom und ein Buchhändler aus München hilfreich. In den glorreichen Zeiten der Vernetzung schickte man ihnen eine E-Mail-Botschaft, und natürlich begriffen die um Mithilfe angeflehten Fanatiker sofort, daß nichts dringlicher war als die Frage, ob es eine fetzigere Version des Songs
Maggie’s Farm
gab als die beim Newport Folk Festival vom 25. Juli 1965 mit so rasender Inbrunst vorgetragene. Angesteckt von Viktors Begeisterung ließen diese Männer inmitten wichtiger Beschäftigungen die außenpolitischen Verpflichtungen und die Kunden stehen, und man diskutierte eine geschlagene halbe Stunde angeregt via Internet, denn es ging um nichts Geringeres als darum, daß einer Frau namens Maggie, die sie gar nicht kannten, von einem Schriftsteller, den sie auch nicht persönlich kannten, die absolut heißeste Version dieses Songs zugeschickt werden mußte. Exzesse dieser Art waren nur möglich, wenn man Gelegenheit hatte, die schwarzgebrannten Konzertmitschnitte von Dylan, die man als erwachsener Mensch handelte wie als Schulkind die Sammelbildchen, überlaut abzuspielen, um so ihre Überzeugungskraft zu testen. Keine Ehefrau durfte Zeugin eines solchem Sittenverfalls sein, nicht einmal besagte Maggie hätte der allein für sie veranstalteten Raserei beiwohnen dürfen.
»Schreib schön fleißig«, sagte Ellen, als Viktor in die Küche kam, um sich Kaffee abzufüllen, »damit du viel, viel Geld verdienst und ich meinen verfluchten Job an den Nagel hängen kann.«
Es war halb neun, phantastisch viel Zeit bis zwölf und dem Gespräch mit der Tscherkessin, vor dem der nun abgekühlte Viktor einige Scheu hatte. Er hätte sich lieber mit einer Flasche Wein betäubt. Ein Anruf von Thomas oder Barbara oder irgendwelchen anderen Freunden hätte genügt, und sie hätten sich irgendwo getroffen und getrunken, und die Frauen in Viktors Kopf wären in den Hintergrund getreten, und Ellen hätte sich gesagt, daß sie ihre mistige Juristenarbeit auch an einem anderen Abend erledigen könnte, und Viktor hätte sich gesagt, daß er sich von seinen telefonsexuellen tscherkessischen Erwartungen nicht so unter Druck setzen lassen sollte. Ohne Lockruf von außen aber versanken Ellen und Viktor gleichermaßen in ihren Verpflichtungen.
Viktor mußte seine Gemütsverfassung in Ordnung bringen. Dieser Vorgang war vom Notizenmachen begleitet, und wie immer beim Schreiben, mußte Viktor dabei hellwach und nüchtern sein – auch wenn es nur um Erotik ging. Mit Alkohol im Blut konnte man Auto fahren, aber nicht Liebesangelegenheiten exakt vermessen. Die Affären mußten definiert und auseinandergehalten werden. Trennschärfe war wichtig, um ein drohendes Durcheinander der Gefühle zu vermeiden.
Nach dem Kollaps der Bügelbretter im Gästezimmer wählte Viktor für seine Aufzeichnungen den Computer, und langsam wurde ihm klar, was und wieviel er für Ellen empfand, wie wenig für Susanne, was für die Tscherkessin, und wie er an das nächste Treffen mit Fräulein Strindberg herangehen müßte, ohne das Gefühl zu haben, dabei Penelope zu verletzen. Die Nasenring-Tina, Sabine und Beate hatte er sanft ins zweite Glied zurückgeschoben, ohne daß sie protestiert hätten. Viktor hielt ihnen einen Gefühlsanteil von insgesamt zehn Prozent frei. Ira war in diesem Spiel eine Art Joker, wenn es die Situation erlaubte, konnte sie hervorgeholt und als Trumpfkarte benutzt werden. Diese Vorstellung erheiterte ihn so, daß er Ira sofort eine E-Mail schrieb und ihr mitteilte, ihm sei endlich klar geworden, was sie ihm bedeute, daß sie nämlich die Joker-Glückskarte seines Lebens sei – zum Stechen ideal, haha, Pardon. Und obwohl die Liebe vor allem ein Zeitproblem war, obwohl ein Treffen mit Ira in nächster Zeit die mühsam hergestellte Ordnung wieder gestört und ihn aus der Bahn geworfen hätte, obwohl Viktor gute Vorsätze gefaßt hatte, wie er seine warme Liebe zu Ellen am besten pflegen, seine frische Liebe zu Fräulein Strindberg anfachen und wie er seine hitzige Liebeslust auf die Tscherkessin ein wenig drosseln sollte – und er mit der Umsetzung dieser guten Vorsätze genug zu tun
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