Der Liebessalat
mehr, keinen Sex, kein Eros, weder in der Ehe noch außerhalb. Da es zwischen Ellen und ihm immer wieder längere asexuelle Phasen gegeben hatte, fiel ihr die Veränderung nicht auf, vielleicht sagte sie auch deswegen nichts, weil Viktor manche Ehefrau in manchem Roman sich über mangelnden ehelichen Sex hatte beschweren lassen und mit dieser Beschwerde nur die Dürrezeit verlängert hatte. Denn das hatte er aus der Ehe mit Ella gelernt: Wenn man anfing, sich gegenseitig sexuelle Appetitlosigkeit vorzuwerfen, war die Antwort immer der Hinweis auf die mangelnde Anziehungskraft des anderen, und diese Beleidigungen ließen die Lust auf Sex nur noch weiter schwinden.
Ab und zu telefonierte er mit Adrian, der nun endlich einmal dazu kam, aus seinem Leben zu erzählen, denn neue Frauengeschichten hatte Viktor nicht zu berichten, und über sein Elend sprach er nicht gern und nur knapp. Adrian forderte ihn auf, seine Niederlage festzuhalten, einen Roman darüber zu schreiben, wie ein Mann Anfang Vierzig langsam glaubt, bei einem Mädchen Mitte Zwanzig Chancen zu haben, deren Freund sich dann aus Eifersucht umbringt – im Roman wäre ein gelungener Selbstmord wirkungsvoller: Große Reue, aber auch großes Glück des Midlife-crisis-geplagten Helden. Und dann stellt sich raus: die Angebetete liebt nicht ihn, sondern einen alten Sack, der in Liebesdingen aber wenigstens entschieden ist. Die Liebe des anderen hat sie gar nicht ernst genommen, weil keine Frau polygame Liebe ernst nimmt. Adrian war in seinem Element. Er schlug vor, Viktor solle statt des alten Sacks einen fünfunddreißigjährigen fetten Geiger nehmen, einen wie ihn, der kein Glück bei den Frauen habe, der sich aber entscheiden könne. Wenigstens in Viktors Roman wolle er einmal eine tolle Frau kennenlernen. »Ich würde diesen Roman gern lesen«, sagte Viktor, »aber schreiben kann ich so etwas nicht.«
Er hatte auch keine Jazz- oder sonstigen musikalischen Wünsche mehr an Adrian, nicht einmal Fragen. Musik war für Viktor immer verbunden mit erotischen Hoffnungen, und wenn ihn manche Stücke euphorisch und besessen machten und er die Aufnahmen besitzen mußte, koste es, was es wolle, dann nicht, weil ihn die Leidenschaft des Plattensammlers trieb, der seinen Besitz zwanghaft komplettieren mußte – und auch nicht wegen der musikalischen Genialität oder Seltenheit des jeweiligen Stücks, sondern einzig weil er mit Hilfe dieser Musik besser von den Frauen träumen – und weil er ihnen damit besser hinterher jagen konnte. Hunderte, Tausende, im Laufe der Zeit Zigtausende hatte er ausgegeben, um an Klänge zu kommen, die seine Phantasie in dieser Hinsicht unterstützten. Egal ob Jazz oder Rockmusik oder obskure Mitschnitte irgendwelcher Konzerte, die nur in Fankreisen zu haben waren: Wenn Viktor sich bei einem Stück vorstellen konnte, mit einer bestimmten Frau danach herumzuwirbeln und rasant über eine Tanzfläche zu fegen – dann liebte er dieses Stück. Oft genügte die Vorstellung einer Autofahrt mit einer Beifahrerin, die sich auf dem Nebensitz von der von ihm zusammengestellten Musik ergreifen ließ, die sich rhythmisch zu bewegen begann und seiner Musikauswahl mit einem kleinen Lustschrei zustimmte. Das alles war nicht nur Traum. Es hatte solche Tänze und solche Fahrten nicht nur mit Susanne und Beate und ihren Vorgängerinnen gegeben sondern auch mit seinen drei Ehefrauen Ella, Ira und Ellen.
Adrian schlug Viktor vor, ihn wieder einmal in München zu besuchen. Viktor nahm diesmal das Auto und wohnte billig. Da er nicht schrieb und keine Einkünfte hatte, glaubte er, sparsam sein zu müssen. Einen langen Abend verbrachten sie in einem Café. Die beste Ablenkung gegen Liebeskrankheit, sagte Adrian, seien Auftritte, er würde gern eine kleine Tournee mit Viktor organisieren. Viktor wie immer Mundwerk, er, Adrian an der Geige. Viktor sagte: »Ich schreibe nicht mehr, ich lese nicht mehr, ich will keine Musik mehr hören, ich will auch nicht auftreten und lustig sein.« Adrian erzählte von seinem Kummer. Ein halbes Jahr war es her, seitdem ihn seine Freundin verlassen hatte – und kein Zeichen der Besserung, es sei denn, er spiele den Leuten mit seiner Geige etwas vor, das lindere den Schmerz. Viktor sagte, er sei gar nicht liebeskrank, das sei im übrigen ein schöner Zustand, weil da Liebe spürbar sei, liebeskrank sei eigentlich sein Normalzustand in den letzten Jahren gewesen, viel Herz, viel Schmerz, Liebeskrankheit, Liebeskummer seien halb so
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