Der Liebesschwur
den Tisch versammelt, mit einer bemerkenswerten Ausnahme. Der Stuhl von Gerrard war leer.
Minnie und Timms lächelten beide freundlich, als Vane Patience auf ihren Stuhl setzte. Mrs. Chadwick erkundigte sich höflich nach ihren Verletzungen. Patience antwortete den Damen mit freundlichen Worten – und ignorierte die Männer vollkommen.
Bis auf Vane – ihn konnte sie nicht ignorieren. Selbst wenn ihre Sinne das zugelassen hätten, so hatte er doch etwas dagegen – er bestand darauf, eine allgemeine Unterhaltung in Gang zu halten, über unverfängliche und ungefährliche Themen. Als Henry, verleitet durch ihre Ruhe, versuchte, ihr noch mehr von dem Schinken zu reichen und sie in eine Unterhaltung über ihr Knie zu ziehen, antwortete ihm Patience mit einer eisigen Antwort und fühlte dann, wie Vane sie unter dem Tisch mit dem Knie anstieß. Sie wandte sich zu ihm und warf ihm einen unschuldigen Blick zu – mit seinen ausdruckslosen grauen Augen hielt er ihrem Blick stand, dann bezog er sie in die Unterhaltung mit ein.
Als er sie auf seine Arme nahm, als das Mittagessen vorüber war, war Patience nicht gerade gut gelaunt. Nicht nur waren ihr die unterschwelligen Spannungen am Tisch auf die Nerven gegangen, auch Gerrard war nicht erschienen.
Vane trug sie nach oben in ihr eigenes Wohnzimmer und setzte sie wieder auf die Liege.
»Danke.« Patience setzte sich bequem hin und klopfte die Kissen zurecht, dann lehnte sie sich zurück und griff nach ihrer Stickarbeit. Sie warf Vane einen schnellen, düsteren Blick zu, dann schüttelte sie den Stoff aus.
Vane trat einen Schritt zurück und sah ihr zu, wie sie einen bunten Seidenfaden aus ihrer Tasche nahm, dann drehte er sich um und ging zum Fenster. Der Tag hatte klar begonnen, doch jetzt zogen Wolken auf und verdunkelten den Himmel.
Er wandte sich um und betrachtete Patience. Sie saß in die Kissen gelehnt, ihre Arbeit in der Hand, um sie herum hatte sie bunte Seidenfäden verstreut. Doch ihre Hände blieben ruhig, und ein abwesender Ausdruck lag auf ihrem Gesicht.
Vane zögerte, dann pressten sich seine Lippen entschlossen zusammen. Er sah sie an. »Wenn Sie möchten, werde ich gehen und nach ihm suchen.«
Er hatte sein Angebot lässig gemacht und ließ ihr die Möglichkeit abzulehnen, ohne verlegen zu sein.
Sie sah zu ihm auf. Ihr Gesichtsausdruck war nur schwer zu deuten, dann überzog eine leichte Röte ihre Wangen – und Vane wusste, dass sie sich an all das erinnerte, was sie ihm vor erst zwei Tagen vorgeworfen hatte. Aber sie senkte den Blick nicht. Nach einem Augenblick des Überlegens nickte sie. »Wenn Sie das tun würden, dann wäre ich Ihnen …«
Patience hielt inne und blinzelte – doch sie konnte die Worte nicht aufhalten, die aus ihrem Mund kamen. »Dankbar.« Sie verzog den Mund und senkte den Blick.
Im nächsten Augenblick schon war Vane neben ihr. Er legte einen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht. Dann sah er sie lange an, mit einem Gesichtsausdruck, den sie nicht deuten konnte. Sein Kopf senkte sich, und seine Lippen berührten die ihren.»Machen Sie sich keine Sorgen – ich werde ihn schon finden.«
Instinktiv erwiderte sie seinen Kuss. Sie griff nach seinem Handgelenk und hielt ihn fest, blickte suchend in sein Gesicht, dann drückte sie sein Handgelenk und gab ihn frei.
Als sich die Tür hinter ihm schloss, holte Patience sehr tief Luft.
Sie hatte gerade einem eleganten Gentleman vertraut. Und was noch mehr war, sie hatte ihm das anvertraut, was ihr auf Erden das Liebste war. Hatte er ihren Verstand benebelt? Oder hatte sie den Verstand ganz einfach verloren?
Eine ganze Minute lang starrte sie blicklos aus dem Fenster, dann runzelte sie die Stirn, schüttelte den Kopf, reckte sich und griff nach ihrer Stickarbeit. Es hatte keinen Zweck, die Tatsachen zu verdrehen. Sie wusste, dass Gerrard bei Vane in Sicherheit war – sicherer als bei jedem anderen Mann in Bellamy Hall, sicherer als bei jedem anderen Mann, dem sie je begegnet war.
Und, dachte sie und zog die Nadel aus dem Stoff, wenn sie schon einmal dabei war, Zugeständnisse zu machen, konnte sie auch gleich zugeben, dass sie sich erleichtert fühlte – erleichtert, dass Vane hier war, dass sie nicht länger Gerrards einzige Beschützerin war. Und was die Zugeständnisse betraf, verlangte das schon einiges von ihr.
»Hier, Sie müssen doch sicher hungrig sein.« Vane ließ den Beutel, den er mitgebracht hatte, in das Gras neben Gerrard fallen, der erschrocken
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