Der Liebeswunsch
Jacke ausgezogen und im Wohnzimmer auf einen der dänischen Landhaussessel gelegt, an denen sie den Servierwagen vorbeimanövrierte. Sie sah nur seinen Hinterkopf und einen auf der Lehne liegenden nackten
Unterarm, und es gefiel ihr, daß er sich nicht nach ihr umwandte, um gleich wieder mit irgendeiner Bemerkung eine Unterhaltung
zu beginnen, wie es die meisten Männer in dieser Situation sicher getan hätten, sondern in sich selbst vertieft oder in den
Anblick der Landschaft versunken blieb, bis sie mit dem schon etwas wackeligen Wagen und seiner Fracht neben ihm auftauchte
und den Tisch deckte.
»Großartig«, sagte er.
»Was meinst du?« fragte sie. »Die Aussicht oder unsern Brunch?«
»Beides. Glücklicherweise trifft beides zusammen.«
»Du sollst ja nicht bereuen, daß du hergekommen bist«, sagte sie, und goß den Kaffee ein. »Wenn du das Rührei warm möchtest,
fangen wir damit an. Die Eier habe ich heute morgen beim Bauern gekauft. Auch die Milch. Der Toast ist in der Serviette.«
Sie sah, wie er zugriff, und dachte: Er ist nicht gerade verwöhnt worden in seiner Ehe. Meistens hat er wohl alleine gefrühstückt
und dabei seinen Ärger hinuntergeschluckt, daß Anja noch im Bett lag. Wenn sie dann doch einmal im Morgenmantel herunterkam,
war sie wahrscheinlich einsilbig und abweisend gewesen. Und er hatte es schweigend hingenommen. Wenn sie ihn nicht betrogen
hätte, und dazu noch ausgerechnet mit Paul, hätte er sich nie aufgerafft, die Ehe zu beenden, denn er war der Auffassung,
daß jeder sein Schicksal schultern müsse.
Er war fertig mit dem Rührei, das er fast stumm in sich hineingeschaufelt hatte. Sie goß ihm Kaffee nach, schobihm den Brotkorb und den Aufschnitt hin und schaute zu, wie er sich bediente. Er war im letzten Jahr noch schwerer und beleibter
geworden. Es sah aber nicht unangenehm aus, weil er einen mächtigen Kopf und große kraftvolle Hände hatte. Es steckte genug
Willenskraft und Geist in ihm, um seine Körperfülle zu beleben.
Als sein erster Hunger gestillt schien, begann er sie über das Anwesen und ihre Hamburger Freundin auszufragen. Zwar hatte
er immer schon mitbekommen, daß sie oft mit Paul hierhergefahren war, aber das meiste, was sie darüber erzählt hatte, war
offenbar an ihm vorbeigeglitten. Sie ahnte, daß das, abgesehen von den krisenhaften Anfängen, wohl für ihre ganze Ehe mit
Paul galt. Leonhard hatte das getan, was sie mehr oder weniger alle getan hatten in den letzten Jahren: Sie hatten sich mit
einer Schutzschicht von Gewohnheiten umgeben und sich gegenseitig nur noch begrenzt wahrgenommen. Das war inzwischen anders
geworden. Natürlich wußte Leonhard noch immer nicht, wie es jetzt mit ihr und Paul stand. Aber er konnte sich denken, daß
sich etwas Entscheidendes geändert haben mußte, sonst hätte sie ihn nicht eingeladen, sich hier in Greifenstein mit ihr zu
treffen. Sie konnte ihm anmerken, daß er darauf wartete, etwas über ihr Motiv für diese Einladung zu erfahren. Doch im Augenblick
zögerte sie. Es erschien ihr plötzlich fragwürdig, zuerst mit Leonhard über das zu sprechen, was sie vorhatte, und nicht mit
Paul. Oder war das nur ein Problem, weil sie sich nicht ganz sicher war? Hatte sie alles auf den Kopf gestellt, indem sie
sich hier mit Leonhard getroffen hatte und nicht mit Paul hierhergefahren war? War das fair? War das feige? Was hatte sie
sich eigentlich gedacht?
Sie schaute Leonhard an, der nach seiner Tasse griff.»Noch Kaffee?« fragte sie. »Oder magst du einen Joghurt?« Ich übe Fragesätze, dachte sie, während sie den Kaffee einschenkte
und den Joghurtbecher in seine Nähe rückte, denn er hatte »beides« gesagt.
»Du, ich muß dich etwas fragen«, sagte sie und wartete noch einen Augenblick, bis er die Tasse abgesetzt hatte. Dann brachte
sie es heraus: »Ich habe vor, mich von Paul zu trennen, das Haus zu verkaufen und mich als Ärztin niederzulassen. Was hältst
du davon?«
»Moment, das ist viel auf einmal für mich. Also, was halte ich davon? Ich kann nicht leugnen, daß etwas darin enthalten ist,
was mir persönlich sehr gefällt.«
»Daß ich mich von Paul trennen will?«
»Ja. Weil ich finde, das hat er verdient. Er muß endlich einmal die andere Seite kennenlernen.«
»Für einen Richter hast du erstaunlich urtümliche Motive«, sagte sie. »Du denkst vor allem an Rache.«
»Ich urteile hier nicht als Richter«, sagte er, »sondern als zweifach
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