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Der Liebeswunsch

Der Liebeswunsch

Titel: Der Liebeswunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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ist?«
    »Sie hat mich vor einer Stunde aus der Stadt angerufen. Das war alles. Mehr als ich dir gesagt habe, hat sie mir auch nicht
     erzählt. Sie war total fertig. Hör mal, Leonhard, sei nett zu ihr, wenn sie nach Hause kommt!«
    Er antwortete nicht, und Marlene sagte: »Es ist doch nicht ihre Schuld.«
    »Da kann man verschiedener Meinung sein«, antwortete er.
    Nach dem Gespräch ging er in die Küche, die er blitzsauber und aufgeräumt vorfand. Die Chromleisten der weißen Schränke glänzten,
     die Spüle aus Edelstahl war trockengewischt, und über die Kochplatten waren die blanken Schutzdeckel gestülpt, als habe jemand
     alle Spuren des Unglücks vertuschen wollen. Das war Frau Schüttes Handschrift, die wohl noch in der Wohnung gearbeitet hatte,
     nachdem Anja mit Daniel im Krankenwagen in die Klinik gefahren war.
    Er setzte Wasser für einen Nescafé auf und füllte zwei gehäufte Teelöffel von dem braunen Pulver in die Tasse. Die Brühe würde
     stark genug sein, um die Leere aus seinem Kopf zu vertreiben und die dumpfe, sprachlose Anwesenheit der Dinge zu durchbrechen,
     die ihn umgaben. Warum war Anja vom Krankenhaus aus in die Stadt gefahren und nicht nach Hause? Er verstand das nicht. Sie
     hätte doch versuchen müssen, ihn so schnell wie möglich zu treffen oder jedenfalls anzurufen. Vielleicht hatte sie es ja versucht.
     Dies war wieder einer dieser Augenblicke, in denen er sich als einen Mann erleben mußte, dem seine Frau mehr und mehr entglitt,
     ohne daß er wußte, woran das lag. Sie vermied offensichtlich, ihn zu provozieren. Und doch geschah es immer wieder, wie jetzt.
    Mit der Tasse in der Hand ging er zum Telefon, um im Branchenverzeichnis die Nummer der Klinik nachzuschlagen, und trank einen
     Schluck, bevor er mit einem Finger die Spalte entlangfuhr. Er wählte die Zentrale, ließ sich weiterverbinden mit dem Zentrum
     für Brandverletzungen. Eine junge Frauenstimme meldete sich: Schwester Gabriele. Ja, Daniel war da. Es war alles unter Kontrolle.
     Es gab aber vorläufig keine Besuchserlaubnis. Und die Stationsärztin war im Augenblick leider nicht zu sprechen. Er erkundigte
     sich nach seiner Frau. Wann sie weggegangen sei. Das konnte ihm die Schwester leider nicht sagen. Sie hatte erst seit zwei
     Stunden Dienst, und da war seine Frau schon weggegangen. »Schönen Dank«, sagte er.
    Kalte Wut stieg in ihm hoch. Und Ratlosigkeit.
    Er trank den Kaffee, versuchte, tief durchzuatmen und sich zu entspannen. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß seine Geschenke
     immer noch unberührt auf dem Sideboard lagen. Das Ganze erschien ihm als blöde Zeremonie – einer seiner Versuche, es ihr recht
     zu machen. Wenn sie nicht bald kam, wollte er irgendwo essen gehen, statt auf sie zu warten und dann ihr gegenüberzusitzen,
     essend und vielleicht ohne zu sprechen, nachdem das Nötigste gesagt war.
    »Sei nett zu ihr«, hatte ihn Marlene ermahnt. Immer nahm sie Anja in Schutz, als billige sie ihr grundsätzlich Sonderrechte
     oder mildernde Umstände zu, wenn sie sich wieder einmal gehenließ. Sicher, Anja war jetzt geschockt, und er würde deshalb
     auch keine Rechtfertigung von ihr verlangen. Aber ein zufälliger, unvermeidbarer Unglücksfall war das in seinen Augen nicht,
     sondern eine Folge ihrer Schlamperei und der Unordnung, die von ihr ausging. Vielleicht wußte sie das sogar selber. Ja, das
     war es, wasMarlene unterstellt hatte, als sie ihn ermahnte, nett zu Anja zu sein.
    Er wollte noch eine Viertelstunde warten, und wenn sie bis dahin nicht kam, alleine essen gehen. Es waren aber noch keine
     zehn Minuten vergangen, als sie die Haustür aufschloß. Da die Zimmertür zur Diele offenstand, konnte er hören, wie sie mit
     dem Schlüssel einen Moment im Schloß herumstocherte, bis es ihr gelang, die Haustür zu öffnen, die sie dann hinter sich einfach
     zufallen ließ. Im Hereinkommen seufzte sie wie jemand, der sich erschöpft fühlt und allein gelassen worden ist mit einer Last,
     die ihn drückt, aber an die er fast schon gewöhnt ist, weil er sie schon längere Zeit getragen hat. Es war das unbewußte Seufzen
     eines Menschen, der mit sich allein ist. Wie benommen trat sie ins Zimmer und blieb erschrocken stehen, als sie sich ihm plötzlich
     gegenüber sah. Sie war auffallend blaß und sah zerzaust aus, wie jemand, der seinen Kopf lange in seine Hände gestützt und
     aus Unruhe oder Verwirrung seine Haare zerwühlt hatte, ohne sie wieder in Ordnung zu bringen. Als sie langsam und

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