Der Liebhaber meines Mannes
wahr?«
Ich stand auf und begann, die Teller abzuräumen, spürte eine zunehmende Spannung, die ich nicht ganz verstand. Aber Tom fuhr fort, lauter werdend. »Du weißt nichts über Kinder oder übers Elternsein. Und du weißt nichts übers Verheiratetsein.«
Es gelang dir weiterzulächeln, aber ein Schatten huschte über dein Gesicht, als du gemurmelt hast: »Und das soll auch so bleiben.«
Ich wollte, dass das Dessert reibungslos verlief, und redete die ganze Zeit davon, wie wunderbar deine Apfel-Rhabarber-Tarte gelungen sei (dein Gebäck war immer besser als meins – es zerging auf der Zunge), um euch beiden Zeit zu geben, euch zu beruhigen. Ich wusste, dass Toms Launen schnell verflogen, und wenn ich weiter über Vanillesoße und Löffel und Fruchtfüllungen zwitscherte, wäre alles in Ordnung.
Du hast dich vielleicht schon damals gewundert, warum ich das tat. Warum ließ ich den Streit nicht zu einem Crescendo eskalieren, was uns veranlassen würde, unsere Sachen zu packen und abzufahren? Warum war ich unschlüssig, konnte ich meinen Mann weder verteidigen noch ihn dazu drängen, dich zu verurteilen? Obwohl ich mir die Wahrheit über dich und Tom noch nicht eingestanden hatte, konnte ich es nicht ertragen, wie leicht du ihn provozieren konntest, wie wichtig es ihm offensichtlich war, was du von ihm dachtest. Ich wollte nicht darüber nachdenken, was das bedeuten könnte.
Außerdem stimmte ich dem, was du gesagt hattest, insgeheim zu. Ich dachte, Frauen, die arbeiten gehen, könnten auch gute Mütter sein. Ich wusste, du hattest recht und Tom hatte unrecht. Und es war nicht das letzte Mal, dass ich dieser Meinung war, obwohl ich es weiterhin jedes Mal leugnete.
An unserem letzten Tag auf der Insel setzte ich meinen Willen durch, einen Ausflug nach Osborne House zu machen. Ich war nie besonders am Königshaus interessiert, aber ich habe immer gern auf herrschaftlichen Anwesen herumgeschnüffelt, und man konnte unmöglich auf die Isle of Wight fahren, ohne einen Blick auf Queen Victorias Ferienhaus zu werfen. Damals war das Anwesen nur an bestimmten Nachmittagen geöffnet und viele Räume waren für Besucher unzugänglich. Es gab ganz sicher keinen Souvenirladen, keine Cafeteria oder auch nur besonders viele Informationen; das Ganze hatte einen muffigen, verbotenen Beigeschmack. Es war so, als würde man in einer privaten Welt herumschnüffeln, eine, die schon vor vielen Jahren untergegangen war, und genau das gefiel mir.
Du hast vorsichtig gegen den Vorschlag protestiert, aber nach der Diskussion am Abend vorher war Tom auf meiner Seite und wir ignorierten deine lächelnd vorgetragenen Beteuerungen, dassder Geschmack der Königsfamilie schrecklich und ihre Einrichtungen zweitklassig seien und wir mit Ladungen von Touristen herumgeschoben würden (ich fragte nicht, was uns von ihnen unterschied). Schließlich hast du nachgegeben und uns hingefahren.
Niemand zwingt dich mitzukommen, dachte ich. Tom und ich konnten allein gehen. Aber du hast dich mit uns in die Schlange für Eintrittskarten gestellt und am Ende der Tour gelang es dir sogar, nicht alles, was der Führer uns erzählte, mit einem Augenrollen zu kommentieren.
Der eindruckvollste Teil des Hauses war das Durbar-Zimmer, das aussah, als wäre es komplett aus Elfenbein, so weiß, dass es fast blendete. Jede Oberfläche war verziert: die Decke mit tiefen Kassetten, die Wände bedeckt mit Elfenbeinschnitzereien. Sogar du bist verstummt, als wir eintraten. Die hohen Fenster boten einen Blick auf den glitzernden Solent, aber drinnen war reinstes Anglo-Indien. Der Führer erzählte uns etwas über den Agra-Teppich, den Kaminaufsatz, der einen Pfau darstellt, und, am schönsten von allem, das aus Knochen geschnitzte Modell eines Maharadschapalastes. Als ich hineinblickte, konnte ich die Maharadschas sehen, ihre kleinen glitzernden Schuhe, deren Spitzen sich hochbiegen. Der Führer sagte, das Zimmer wäre der Versuch der Königin, ein Stück Indien auf der Isle of Wight zu erschaffen. Obwohl sie selbst niemals dort war, war sie von Prinz Alberts Erzählungen von seinen Reisen auf dem Subkontinent entzückt. Sie stellte sogar einen indischen Jungen als persönlichen Sekretär ein und entwickelte ein sehr enges Verhältnis zu ihm. Wie alle anderen Bediensteten musste er jedoch wegsehen, wenn er mit seiner Herrscherin sprach. Es gab im Zimmer ein Foto von dem Jungen, auf dem er einen Turban trug, der mit Goldfäden durchzogen war. Die Königin hatte offenbar
Weitere Kostenlose Bücher