Der Lilienpakt
konnte man mich auch für Aramitz’ Diener halten.
Als wir den Kirchhof schließlich verließen, begleitete mich Aramitz zu Athos’ Haus.
»Wartet hier einen halben Tag, ich werde inzwischen Vorkehrungen für Eure Abreise treffen.«
»Abreise? Wohin?«
»Das werdet Ihr sehen. Jetzt ist es erst einmal wichtig, dass Ihr im Haus bleibt und niemanden hineinlasst. Gleichzeitig müsst Ihr aber den Eindruck erwecken, dass Ihr tut, was Athos’ Diener tun würde.«
»Und wenn die Schwarze Lilie an meine Tür klopft?«
»Dann nehmt Ihr Euren Degen und verteidigt Euch. Aber so weit wird es nicht kommen. Die Schwarze Lilie hat keinerlei Hinweise auf Euch, und wahrscheinlich müssen diese Mörder jetzt erst einmal ihren Triumph feiern.«
Ich nickte beklommen. Mittlerweile hatte der Lilienpakt nur noch drei Mitglieder, wenn man den entführten Isaac de Porthau nicht mitzählte. Aramitz sah mich eindringlich an. Erst jetzt fiel mir auf, dass er eine kleine Narbe am Oberlid hatte. Sie erinnerte mich an die Narbe, die Jules am Kinn trug.
»Gebt auf Euch acht, es ist nur für einen halben Tag. Dann werdet Ihr in Sicherheit gebracht, und wir werden dafür sorgen, dass dieser Spuk endlich ein Ende hat.«
Wie wollt ihr das anstellen?, fragte ich im Stillen, doch ich nickte und tat so, als würde ich ihm glauben.
Den restlichen Tag verbrachte ich in Athos’ Haus damit, die Unordnung zu beseitigen, die sich während meiner Bettlägerigkeit angesammelt hatte. Meine Wunde schmerzte bei jeder hastigen Bewegung, aber das hielt mich nicht von der Arbeit ab. Es half mir, die Leere in meinem Inneren zu ertragen und die Gedanken an Charles d’Aramitz’ Worte zu verdrängen.
Zwischendurch überfiel mich Schwäche, sodass ich mich setzen und verschnaufen musste. Die Verletzung und die Tage im Bett setzten mir immer noch zu. Als ich die Luft im Haus nicht mehr ertragen konnte, ging ich hinaus auf den Hof.
Die eisige Luft weckte meine Lebensgeister wieder. Ich blickte hinauf zum Himmel, beobachtete meinen Atem, der als kleine Wolke aus meinem Mund aufstieg, und schloss dann die Augen. Ein paar Schneeflocken fielen auf meine Stirn und schmolzen sofort. Ich gestattete mir, kurz an die Zeit zu denken, in der ich mit meinen Brüdern durch den Schnee gelaufen war, dann holte mich ein Wiehern in die Wirklichkeit zurück.
Die Pferde. Zwei Tage hatten sie nun schon kein Futter bekommen.
Ich ging zum Stall und schob das Tor auf. Die stickige, nach Mist stinkende Luft nahm mir kurz den Atem. Ich würde es nicht schaffen, auszumisten, aber wenigstens Wasser und Futter sollten die beiden bekommen. Nachdem ich Heu in die Krippe gelegt hatte, füllte ich auch noch den Futterbeutel für die Stute. Margot blickte mich aus großen traurigen Augen an. Spürte sie, dass ihr Herr nicht mehr zurückkehren würde?
Beim Hinausgehen fragte ich mich, was aus den Pferden werden sollte. Der Wallach gehörte sicher der Kompanie und würde einem anderen Musketier zugeteilt werden. Doch die Stute? Vielleicht konnte ich ja Aramitz bitten, ihr weiterhin das Gnadenbrot zu gewähren.
Nachdem ich den Stall verschlossen hatte, kehrte ich ins Haus zurück. Dort verriegelte ich die Tür und alle Fenster bis auf jenes, das zu meiner Kammer gehörte. Ich setzte mich auf eine Kiste, lehnte mich gegen die Wand und schlief ein.
7
Am nächsten Morgen, noch vor Sonnenaufgang, schlich ich mich aus Athos’ Haus. Viel geschlafen hatte ich nicht. Obwohl mein Körper müde gewesen war, war mein Geist hellwach. Aramitz hatte mich zwar angewiesen, nirgends allein hinzugehen, doch für Jules wäre ich jedes Risiko eingegangen.
Fest in meinen Mantel gehüllt durchstreifte ich die Stadt und erreichte schließlich die Schmiede, deren Dächer von einer dicken Schneeschicht bedeckt waren.
Der Duft von Kräutern und frischem Brot stieg mir in die Nase. Er kam aus dem Ofen neben der Schmiede, der auch als Backofen benutzt wurde.
Die alte Minou konnte ich nicht entdecken. Wahrscheinlich hatte sie sich eine wärmere Bleibe gesucht. Doch ich hatte ohnehin nicht vor, den Hof zu betreten.
Ich kletterte auf den Baum neben der Schmiede und warf kleine Steinchen gegen Jules’ Fenster.
Mehr als fünf brauchte ich nicht, dann erschien er.
»Christine«, formten seine Lippen, nachdem er sich verschlafen die Augen gerieben hatte. Dann öffnete er das Fenster und fragte im Flüsterton: »Was suchst du hier?«
»Athos ist tot«, eröffnete ich ihm ohne Umschweife.
»Was?« Jules wurde
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