Der Lilienpakt
diesen Stoß beibringen würdet.«
»Und nicht zu vergessen, mir auch!«, platzte Aramitz heraus. »Es kann nie schaden, gegenüber anderen Fechtern einen kleinen Vorteil zu haben.«
Es beschämte mich beinahe ein bisschen, dass ich zwei hervorragenden Fechtern etwas beibringen sollte. Dennoch war ich stolz und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, als ich antwortete: »Mit dem größten Vergnügen, Messieurs.«
Nach der Fechtstunde kehrten Nancy und ich ins Schloss zurück. Guter Dinge begab ich mich auf mein Zimmer, schlüpfte aus den Fechtsachen und zog das blaue Kleid über, das Pascal mir in den Morgenstunden gebracht hatte.
Mich im Spiegel wieder als Mädchen zu sehen, kam mir seltsam vor. Mittlerweile war mein Haar wieder schulterlang, wie es für einen Burschen gerade noch angebracht und für ein Mädchen schicklich war. Doch ich hatte so lange Männerkleider getragen, dass das Kleid irgendwie fremd an mir wirkte. Allerdings musste ich zugeben, dass das Gewand sehr angenehm auf meiner Haut war. Außerdem brauchte ich meine Brüste nicht mehr abzubinden. Geschadet hatte ihnen die Stoffbinde nicht, ganz im Gegenteil. Ich dachte wieder an Antoine und sein Angebot, meine Ehre zu verteidigen. Etwas zog schmerzhaft in meinem Innersten. Hatten meine Brüder gewusst, dass ich nicht ihre Schwester war?
Sicher. Der Altersunterschied zwischen uns war nicht groß gewesen, dennoch mussten sie mitbekommen haben, dass Maman nicht schwanger gewesen war. Zumindest bei Bernard musste das der Fall gewesen sein. War das der Grund, warum er mich manchmal etwas abweisend behandelt hatte? Hatte er seinen Verdacht oder sogar sein Wissen mit Roland und Antoine geteilt?
Wenn ja, warum hatte mich nicht wenigstens Antoine ins Vertrauen gezogen? Warum hatten alle geschwiegen?
Die Antwort lag auf der Hand. Wäre es Maman gelungen, mit mir außer Landes zu reisen, hätte ich meine wahre Herkunft wahrscheinlich nie erfahren.
Doch ich versagte es mir, weiter solch trüben Gedanken nachzuhängen. Viel zu gut war meine Laune wegen des Fechtunterrichts!
Nachdem ich noch einmal über den weichen Stoff des Rockes gestrichen hatte, begab ich mich nach unten. Dort traf ich auf Aramitz, der soeben angekommen sein musste. Staub bedeckte seine Kleider. Draußen führte Dominik sein Pferd in den Stall. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass er unterwegs gewesen war.
»Was bringt Ihr für Neuigkeiten?«, fragte ich leichthin und nahm mir einen Apfel aus der Obstschale neben der Treppe. Dominik musste sie dort hingestellt haben, denn Pascal und Sebastian hatte ich seit heute Morgen nicht mehr zu Gesicht bekommen. Wahrscheinlich waren sie im Auftrag von Aramitz unterwegs.
»Darüber sollten wir uns im Salon unterhalten«, antwortete der Musketier ernst. »Es könnte etwas länger dauern.«
Was war los?
Eigentlich hatte ich herzhaft in den Apfel beißen wollen, doch plötzlich verging mir der Appetit. Wenn er eine Nachricht dermaßen ankündigte und nicht gleich damit herausrückte, verhieß das bestimmt nichts Gutes.
Doch was konnte schon vorgefallen sein? Es war doch erst gut eine Stunde vergangen, seit wir den Fechtunterricht beendet hatten. War ein Bote eingetroffen? Oder waren die Diener zurückgekehrt, ohne dass ich es mitbekommen hatte?
Im Salon ließ Aramitz sich auf einen Stuhl nieder und bedeutete mir, dass ich auf der Chaiselongue Platz nehmen sollte.
»Was ist los?«, fragte ich.
»Offenbar gibt es einen neuen Herrn auf Schloss d’Autreville«, antwortete Aramitz.
»Was sagt Ihr da?« Ich konnte es nicht fassen.
Davon ausgehend, dass ich schon verstanden hatte, fügte Aramitz hinzu: »Allerdings ist mir nicht bekannt, dass der Grafentitel neu vergeben wurde. Wahrscheinlich ist das eine Kampfansage an uns.«
»Eine Kampfansage?« Mir wurde flau im Magen.
»Ja, die Schwarze Lilie möchte Euch aus Eurem Versteck locken.«
»Aber woher wissen sie …« Ich beendete den Satz nicht. Natürlich hatten sie überall ihre Spione. Ich erinnerte mich noch gut an die dunkle Gestalt bei Athos’ Beerdigung. Wer weiß, was sie noch alles wussten.
»Wir können mittlerweile davon ausgehen, dass sie von Eurem Überleben Kenntnis haben.«
Er senkte betroffen den Kopf.
»Was ist los?«
Der Musketier seufzte. »Jemand ist in die Grabkapelle Eurer Familie eingebrochen.«
Erschrocken schlug ich die Hand vor den Mund. »Und das sagt Ihr mir erst jetzt? Wie lange wisst Ihr schon davon?«
»Eine Woche. Pascal ist im Dorf gewesen. Der
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