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Der Lilienpakt

Der Lilienpakt

Titel: Der Lilienpakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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schreiben?«
    »Er war nicht immer blind. Erst vor einigen Jahren hat er sein Augenlicht verloren. In ein Armenhaus gehen oder betteln wollte er nicht, also hat er seine Arbeit einfach fortgesetzt.«
    »Aber wenn er nichts sieht, werden die Buchstaben doch krumm und schief!«
    »Nicht bei ihm! Siehst du das Tablett auf seinen Knien? Es hilft ihm, die Größe des Blattes zu bemessen und gerade Linien zu schreiben. Siehst du, wie er den kleinen Finger abspreizt und damit nach dem Rand des Tabletts tastet?«
    Es war erstaunlich. Wenn er die Feder wie jetzt auf das Papier setzte, wirkte er auf einmal nicht mehr blind. Seine Hand arbeitete so rasch wie die eines Sehenden. Wie die Buchstaben aussahen, war eine andere Sache, aber Ismael machte tatsächlich den Eindruck, als verstünde er sein Handwerk noch immer.
    »Ich würde mir seine Arbeit gern aus der Nähe ansehen«, murmelte ich beeindruckt.
    »Dann schauen wir doch, ob er Zeit für uns hat. Er mag es nicht, gestört zu werden, doch da ich ihm regelmäßig Essen bringe, wird er vielleicht eine Ausnahme machen.«
    Obwohl der Mann unsere Schritte hörte, ließ er sich nicht stören, Zeile um Zeile schrieb er auf das Pergament. Seine Schrift war erstaunlich gerade und ordentlich.
    »Seid gegrüßt, Monsieur Ismael. Was machen die Geschäfte?«
    Bedächtig legte der Schreiber seine Feder auf das Tablett und verschloss das Tintenfass wieder. Auch jetzt merkte man seinen Bewegungen nicht an, dass er nicht sehen konnte. Den einzigen Hinweis auf seine Blindheit lieferten seine Augen. Die Pupillen waren von einem weißen Schleier überzogen. Eine Narbe verunzierte seine rechte Augenbraue. War er vielleicht im Kampf erblindet? Oder das Opfer eines Attentates geworden?
    »Sei gegrüßt, mein Junge. Wie ich höre, bist du nicht allein gekommen.«
    Jules grinste mich an. »Ich habe unseren neuen Lehrjungen bei mir.«
    »Lehrjunge? Und ich dachte schon, das ist ein Mädchen. Ich rieche Lavendel.«
    Die Lavendelseife, mit der die Hemden gewaschen wurden! Mich überlief es heiß und kalt.
    »Nein, es ist ein Junge«, sprang mir Jules bei. »Seine Mutter …«
    »Sie legt immer Lavendelsträußchen in die Wäschetruhen«, kam ich ihm zuvor und versuchte meine Stimme tiefer klingen zu lassen.
    »So eine schöne helle Stimme! Wie ist dein Name?«
    »Christian.«
    »Und wie alt bist du?«
    Ich blickte unbehaglich zu Jules. Was, wenn der Alte die Maskerade durchschaute?
    »Zwölf«, antwortete ich, denn mit dreizehn hatte sich bei meinen Brüdern die Stimme verwandelt.
    »Nun, dann wirst du wohl bald schon nicht mehr wie ein Mädchen klingen. Verzeih, dass ich dich für eines gehalten habe.«
    Irgendwie klang seine Entschuldigung nicht ehrlich. Wieder blickte ich zu Jules. Konnte der Alte wirklich nicht sehen? Oder narrte er seine Umgebung, damit man ihn für sein Können bewunderte?
    »Christian würde gern wissen, wie Ihr es anstellt, schreiben zu können, ohne zu sehen«, sagte Jules, während ich die Augen des Schreibers nicht aus dem Blick ließ. Wenn er wirklich etwas sah, mussten sie sich doch bewegen!
    »Dieses Geheimnis wollen viele ergründen«, antwortete der Schreiber. »Bereits als ich noch sehen konnte, arbeitete ich als Schreiber. Die Bewegungen, die ich täglich ausführte, haben sich so tief in mein Gedächtnis eingegraben, dass ich sie mit geschlossenen Augen ausführen konnte. Eine Fähigkeit, die ich brauche, seit ich mein Augenlicht verloren habe.«
    »Und wie habt Ihr Euer Augenlicht verloren?«, fragte ich, doch der Mann schüttelte den Kopf.
    »Das erzähle ich ein andermal. Bring den Burschen wieder in eure Schmiede, Jules. Ich habe zu tun.«
    Hatte ich ihn mit meiner Frage verärgert? Fragend blickte ich zu Jules. Er winkte ab.
    »Ist gut, Monsieur Ismael.« Jules zerrte mich auf den Schmiedehof zurück.
    Der Alte murmelte etwas Unverständliches, dann griff er wieder nach seiner Feder.
    Meine Neugierde war geweckt. »Woher kommt er? Sein Name klingt, als stammte er aus den Türkenlanden.«
    »Davon redet er nie. Mein Vater behauptet, dass er eines Tages wie ein Geist hier aufgetaucht sei.«
    »War er da schon blind?«
    »Nein, er soll ein ganz normaler Mann gewesen sein. Etwas zurückgezogen hat er aber immer schon gelebt.«
    Ich blickte zurück zu dem Schreiber. Zu gern hätte ich gewusst, was er schrieb und für wen. Doch ich trottete mit Jules zurück in den Hof.
    In dem Augenblick trat uns Monsieur Garos entgegen.
    »Kommt beide herein!«
    Ich blickte zu

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