Der Lilienpakt
einige große Ratten entdeckte. Solch eine elende Gegend hatte ich noch nie gesehen!
Die Passanten auf der Straße blieben stehen, als sie uns bemerkten. Nur selten grüßte jemand den Waffenschmied. Scheele Blicke trafen uns. Eine Alte, die einer Märchenhexe ähnelte, spuckte irgendwelche Worte zwischen ihren verfaulten Zahnstummeln hervor.
Mich schauderte, doch ich zwang mich, ruhig zu bleiben wie ein junger Mann, dem das alles nichts ausmachte. Jules wirkte gelassen. Er erwiderte die Blicke furchtlos, dann flüsterte er mir zu: »Keine Sorge, die Schmiede befindet sich nicht in dieser Gegend. Es ist nur der kürzeste Weg dorthin.«
»Habt ihr denn keine Angst, überfallen zu werden?«
»Von Alten, Lahmen und hungrigen Kindern?«
»Die Burschen da hinten sehen aus, als hätten sie Kraft in den Armen.« Ich deutete auf drei junge Männer, die neben einem Wasserfass lungerten.
»Ach die! Das sind Feiglinge. Mein Vater mag nicht der beste Fechter von Paris sein, aber dennoch kann er recht gut mit seinen Waffen umgehen. Gut genug, um diesen Taugenichtsen auf die Sprünge zu helfen.«
»Das habe ich gehört, Bursche!«, rief Garos vom Kutschbock her. »Seit wann zweifelst du an meinen Kampfkünsten?«
»Ich zweifle nicht, Papa. Aber du musst zugeben, dass du einem Musketier des Königs unterliegen würdest.«
»Einem Musketier des Königs unterliegt beinahe jeder Mann in Paris. Sogar die Spanier fürchten sie.«
Dasselbe hatte mein Vater auch behauptet. Spanien hatte mit Toledo eine der besten Schwertschmiedestädte, und die Fechter waren gut. Bei unseren Musketieren wurden jedoch nur die besten Kämpfer Frankreichs aufgenommen. Mein Herz wurde plötzlich schwer, als ich an meine Brüder dachte. Maman und ich hätten der prachtvollen Aufnahmezeremonie bei den Kadetten beigewohnt. Jetzt waren alle tot.
Um diesen Gedanken zu verdrängen, konzentrierte ich mich wieder auf meine Umgebung. Die bedrohlich wirkenden Burschen hatten sich verzogen. Nach und nach lichtete sich die Straße etwas und wurde breiter. Die ärmlichen Hütten blieben hinter besseren Stadthäusern zurück. In diesem Viertel mussten sich Kaufleute niedergelassen haben. Die Luft war hier nicht besser, doch hin und wieder wehte uns der Duft von Rose, Lavendel und anderen Blüten entgegen. Zwischen den Häusern, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, entdeckte ich eine Parfümerie, vor der ein junger Bursche die Treppe fegte.
Prachtvoll verzierte Sänften kamen uns entgegen, vor denen Garos die Pferde zügelte, denn in diesen Beförderungsmitteln saßen meist reiche Personen, die es nicht schätzten, aufgehalten zu werden.
Schließlich erreichten wir ein schlichtes Anwesen, das von einer hellen Steinmauer umgeben wurde. Das Wohnhaus hatte einen hohen Giebel, direkt daneben stand eine Eiche, deren Äste beinahe die Butzenfenster berührten.
Das Gemisch aus Gestank und Parfüm wich dem Geruch nach verbrannter Holzkohle. Dieser war so übermächtig, dass er die Luft rings um die Schmiede vom Gestank reinigte. Eine Katze döste träge neben dem hohen steinernen Torbogen und scherte sich kein bisschen um den Wagen, der auf sie zurumpelte.
»Das ist die alte Minou.« Jules deutete auf das schwarz-weiße Tier. »Sie ist älter als ich und seit dem vergangenen Sommer taub.«
»Wie schafft sie es dann, im Schlaf nicht von den Pferden zertrampelt zu werden?«
»Mittlerweile entfernt sie sich nur noch selten vom Hof. Ansonsten achtet sie auf die Erschütterungen unter ihrem Körper.«
»Aber dann müsste sie jetzt auch die Flucht ergreifen.«
»Wieso? Mein Vater hat doch Augen im Kopf! Minou erkennt die Erschütterungen unseres Wagens und weiß, dass er sie nicht überfahren wird.«
Wie um diese Worte zu bekräftigen, blickte die Katze kurz auf, bettete ihren Kopf dann wieder auf ihre Pfoten und schloss die Augen.
Auf dem Hof hielt Monsieur Garos den Wagen an. Ich erblickte einen Brunnen und einen kleinen Holzschuppen, der sich neben das Wohnhaus duckte. In dem Hauklotz davor steckte ein Beil.
Kaum hatte der Waffenschmied die Wagenbremse angezogen, kam eine Frau aus dem Wohnhaus. Sie war recht groß und schlank, hatte aber kräftige Arme. In ihrem sonnenverbrannten Gesicht leuchteten grüne Augen, die mich an das Laub im Mai erinnerte. Sie trug ein grobes dunkelgrünes Kleid, das zu ihrem kastanienroten Haar passte. Ihre Füße steckten in klobigen Holzpantinen.
Sie lächelte herzlich – bis sie mich auf dem Wagen entdeckte. Während
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