Der Lilienpakt
nicht, ob ich nun traurig oder wütend sein sollte. Mein schön zurechtgelegter Plan zerplatzte wie eine Seifenblase.
Mühsam hielt ich die Tränen zurück, als ich wieder durch den Torbogen zur Werkstatt ging.
Ein Junge heulte nicht!
Missmutig starrte ich den ganzen Tag vor mich hin. Ich erledigte meine Arbeit, aber in Gedanken war ich bei dem Musketier und seiner Ablehnung. Wie konnte ich ihn dazu bringen, mich doch als Diener anzustellen?
»Monsieur d’Athos war mit seinem Degen zufrieden, nicht wahr?«
Ich blickte von dem Lederriemen, den ich gerade zuschnitt, auf. Jules lehnte am Türrahmen. Nervös drehte er einen langen Grashalm hin und her.
»Ja, das war er wohl.« Ich hätte mich darüber freuen können, dass er immerhin wieder mit mir redete. Aber ich war alles andere als froh.
Jules nickte und schwieg wieder. Ich spürte, dass er etwas wissen wollte.
»Er wollte mich nicht«, beantwortete ich die ungestellte Frage und wandte mich wieder dem Lederstück zu.
Jules grinste nicht, wie ich es erwartet hätte. »Tut mir leid«, sagte er nur. »Du wirst einen anderen Weg finden.«
Den Tränen nahe nickte ich. Einen anderen Weg. Welchen denn? Ich wollte Jules schon spöttisch fragen, doch als ich wieder aufsah, war er verschwunden. Der Grashalm lag auf der Kante meines Arbeitstisches. War das ein Friedensangebot?
Plötzlich nahm ich aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung wahr. Als ich mich umsah, blickte ich Jacques geradewegs ins Gesicht.
Dieser Bastard hatte uns belauscht!
Mich überlief es heiß und kalt, dann wurde mir klar, dass Jules sich wohl deswegen zurückgezogen und nichts weiter gesagt hatte. Ich zwang mich, wieder auf meine Arbeit zu blicken und so zu tun, als würde es mir nichts ausmachen, dass Jacques mich schamlos anglotzte. Eine ganze Weile spürte ich noch seine Anwesenheit, dann zog er sich endlich zurück, denn auch seine Arbeit erledigte sich nicht von allein.
4
Am Abend hatte ich mich noch immer nicht mit der Ablehnung abgefunden. Wie könnte ich auch!
Während ich beim Essen Jules’ und auch Jacques’ Blicken gleichermaßen auswich, grübelte ich, wie ich doch in den Dienst des Musketiers treten konnte. Vielleicht war er ja einer jener Menschen, die sehen wollten, dass man für eine Sache kämpfte. Das würde jedenfalls zu ihm passen. Ich musste es ein zweites Mal versuchen!
Kurz vor Mitternacht stieg ich aus dem Bett, auf dem ich angezogen gelegen hatte. Dann küsste ich Antoines Medaillon und schnappte mein fertig gepacktes Bündel. Ich riskierte großen Ärger oder sogar eine saftige Tracht Prügel, wenn ich vor Athos’ Haustür auftauchte. Doch ich wollte es noch einmal wagen.
Eigentlich sollten weder Monsieur Garos noch Jules mitbekommen, dass ich ging, doch auf dem Gang fiel mir ein, dass ich nicht wusste, wo Athos wohnte. Ich redete mir ein, dass ich nur aus diesem Grund noch einmal mit Jules reden wollte.
An seiner Kammer angekommen hörte ich leise Atemgeräusche.
Leise kratzte ich mit den Fingernägeln über das Holz. Ich wäre von dem Geräusch sofort hochgeschreckt, doch bei Jules brauchte ich mehrere Versuche, ehe er aufwachte. »Was ist los? Wer ist da?«
Herein!, hatte er zwar nicht gerufen, dennoch öffnete ich die Tür. Mein Herz pochte. Im Mondschein, der durch das Kammerfenster fiel, versuchte ich seine Gestalt auszumachen.
»Christine, was ist los?«, fragte Jules verwundert, dann dämmerte ihm der Grund meines Besuches. »Du willst doch nicht etwa …«
Sogleich fuhr er von seinem Bett hoch.
»Ich werde zu Monsieur d’Athos gehen«, entgegnete ich leise, aber entschlossen. »Und ich wäre dir dankbar, wenn du mir sagst, wo ich ihn finden kann.«
»Aber er hat deine Bitte abgelehnt!«
»Ich muss es noch einmal versuchen.«
»Wenn er dich gewollt hätte, würdest du jetzt schon unter seinem Dach schlafen«, entgegnete Jules.
»Er wollte deinem Vater nicht den Lehrling wegnehmen, das ist alles.«
»Das kommt aufs Gleiche hinaus!«
Ich seufzte. Erkannte dieser Holzkopf denn nicht, dass ich es tun musste! Mit zitternden Händen zog ich den Zettel aus der Tasche.
»Zünde bitte eine Kerze an. Ich zeige dir die Nachricht.«
Jules blickte mich verwundert an, kam meiner Bitte dann aber nach. Die Flamme tauchte den Raum in ein fahles Licht.
Beim Eintreten hatte ich ein seltsames Gefühl gehabt. Ich war allein mit einem Burschen in dessen Kammer! Die Zweisamkeit mit Jules bereitete mir ein wenig Unbehagen. Wenn sein Vater uns
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