Der Lilienpakt
einer Sattlerahle, nur war sie nicht ganz so krumm. Natürlich gab es auch kleinere Nadeln, aber entweder waren deren Spitzen abgebrochen oder die Öhre schadhaft. Beim Garn hatte ich mehr Glück. Ich fand eine schwarze, eine blaue, eine rote und eine weiße Garnrolle. Alle Farben, die auch in der Uniform eines Musketiers zu finden waren.
Zum ersten Mal sah ich ein, dass der Handarbeitsunterricht bei Madame Poussier einen Nutzen gehabt hatte. Ich besserte den Riss in der Tunika aus, und da sich Athos noch immer nicht aus den Federn bemühte, machte ich mich auch daran, die schadhaften Flammen zwischen den Kreuzbalken auszubessern. Seltsamerweise machte mir das Spaß, wohingegen ich den Unterricht bei meiner Gouvernante einfach nur schrecklich gefunden hatte.
Als ich fertig war, zerbiss ich die Fäden mit den Zähnen, denn eine Schere hatte ich vergeblich gesucht, und drapierte den Waffenrock so auf dem Stuhl, dass Athos das Flickwerk gleich auffallen würde. Zufrieden strich ich über die Tunika, der ein leichter Geruch nach Leder und Pferd entströmte.
Mit knurrendem Magen machte ich mich schließlich auf die Suche nach etwas Essbarem. Athos schien dieses Haus wirklich nur zum Schlafen zu nutzen, denn ich fand kaum etwas, das es wert gewesen wäre, sich zwischen die Zähne zu schieben. Lediglich ein Brotlaib war noch einigermaßen genießbar. Hatte er hier wirklich stets allein gehaust?
Bei Gelegenheit wollte ich ihn fragen.
Ich hatte gerade alles, was ich an Essbarem gefunden hatte, auf den Tisch gestellt, als Athos die Treppe herunterpolterte. Würde es ihm auffallen, dass sein Waffenrock geflickt war?
Ich erwartete kein Lob, doch ich hoffte, dass er meine Arbeit in irgendeiner Weise würdigen würde.
»Guten Morgen, Monsieur!«, grüßte ich ihn, worauf er zusammenzuckte und mich aus kleinen Augen musterte.
»Ach du!«, rief er aus. Die beiden Worte waren auch der einzige Gruß, den ich bekam, denn mit einem unverständlichen Gemurmel verließ er nun das Haus durch die Hintertür.
»Komm mit oder willst du da Wurzeln schlagen?«, rief er von draußen.
Nichts hatte darauf hingedeutet, dass ich ihm folgen sollte. Rasch stellte ich den Teller mit der Speckschwarte ab und lief nach draußen.
Athos stand vor einem kleinen Pferdestall. »Habe ich es mir doch gedacht!«
Was hatte er sich gedacht? Die Antwort erhielt ich prompt.
»Die Pferdeställe sind nicht gemacht.«
Zunächst war ich ein wenig verwundert, dann wurde ich wütend. Hatte er nicht gesehen, dass ich bereits im Haus gearbeitet hatte?
Athos wandte sich mir zu. Er wirkte nicht so, als würde er scherzen. »Da du den ersten Tag hier bist, sehe ich es dir nach. Nach dem Aufstehen wirst du als Erstes nach den Pferden sehen, sie striegeln, füttern und ausmisten. Hast du verstanden?«
Widerwillig nickte ich. Ich verstand nicht, dass ich gerügt wurde, obwohl ich gearbeitet hatte.
»Dir scheint etwas nicht zu passen«, stellte Athos fest, nachdem er mich angesehen hatte.
Ich schüttelte den Kopf.
»Doch, ich kann es dir ansehen. Sag es freiheraus, was ist es?«
»Ihr hättet mir sagen sollen, dass Ihr zuerst die Pferde versorgt sehen wollt, dann hätte ich mich um sie gekümmert. Ich dachte, die Ordnung im Haus ist Euch wichtiger.«
Athos’ Augen wurden schmal. »Für einen Musketier ist die Ordnung in seinem Haus zweitrangig, denn das Haus begleitet ihn nicht in die Schlacht. Das Pferd schon. Wenn das Pferd krank oder schlecht gepflegt ist, bedeutet das den sicheren Tod seines Herrn. Ein Diener ist also immer angehalten, das Pferd seines Herrn an erster Stelle zu umsorgen.«
Das klang logisch, dennoch passte mir die Zurechtweisung nicht. Doch um keinen weiteren Ärger zu bekommen, huschte ich in den Stall.
Tatsächlich legte Athos großen Wert auf seine Pferde. Der Stall war sehr sauber, die Felle der beiden Pferde glänzten. Eines der Tiere war schon ziemlich alt, wie die grauen Stellen in seinem Fell bewiesen, doch sein Futterbeutel war genauso groß wie der des anderen Tiers.
Als ich mich nach Athos umwandte, war er schon wieder im Haus verschwunden. Ich hatte keine Ahnung, wie man sich um ein Pferd kümmern sollte. Das Füttern war noch das Leichteste an der Arbeit. Als ich versuchte das Pferd zu striegeln, wieherte es und trat zur Seite. Nur mit einem beherzten Satz konnte ich verhindern, an einen Pfosten gedrückt zu werden. Beim Ausmisten rebellierte mein Magen gegen die dampfenden Pferdeäpfel, welche die Pferde über Nacht
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