Der Lilienpakt
wollte doch wohl nicht, dass ich mein Hemd auszog?
»Ich dachte, ich …«
Athos seufzte und schüttelte den Kopf. »Dein Gesicht hat nicht nur weibliche Züge, du zierst dich auch wie eine Jungfrau.«
Ich hielt den Wassereimer wie einen Schutzschild vor mich und ignorierte die Wassertropfen, die meine Kleider durchnässten.
»Meinetwegen, geh nach oben und wasch dich dort. Neben der Treppe ist eine kleine Kammer, die kannst du haben.«
»Danke, Monsieur!« Rasch eilte ich mit der Kerze die Treppe hinauf. Da es neben der Treppe nur eine kleine Tür gab, öffnete ich sie in der Annahme, dahinter meine Kammer zu finden. Wahrscheinlich war der kleine Raum das auch, nur fiel es schwer, zu glauben, dass hier schon einmal jemand gewohnt hatte. Die Kammer war mit Gerümpel vollgestellt.
Ich stellte die Kerze auf einer Kiste ab und den Eimer auf einem dreibeinigen Hocker. Dann zog ich das Hemd aus. Die Blutflecken darauf waren bereits eingetrocknet.
Ich wusch mich rasch, denn es war möglich, dass Monsieur d’Athos noch einen Wunsch hatte. Als ich in einem frischen Hemd mit dem Eimer wieder nach unten kam, war er ebenfalls gerade fertig.
»Das wird doch wohl keine Katzenwäsche gewesen sein?«, brummte er, worauf ich den Kopf schüttelte.
»Nein, Monsieur, ich wollte nur nicht saumselig sein.«
»Gute Voraussetzungen für einen Diener«, lachte Athos, während er den Kragen seines Hemdes nachlässig zuschnürte. »Dann schütte das Wasser aus und richte dir oben ein Bett. Ich erwarte, dass du deine Arbeit noch vor dem Sechs-Uhr-Läuten beginnst.«
Ich kippte das schmutzige Wasser in den Rinnstein, dann ging ich wieder nach oben. Das flackernde Kerzenlicht offenbarte mir nach kurzer Suche auch die Bettstelle, von der ich erst einige Kisten und Schachteln herunterräumen musste.
Mehr und mehr gewann ich den Eindruck, dass Athos diese Kammer zum Abstellen jener Dinge benutzt hatte, die er nicht brauchte, aber auch nicht wegwerfen wollte. Obwohl ich neugierig war, was sich in diesen Kisten alles befand, war ich doch zu müde, um nachzusehen.
In meinen Kleidern streckte ich mich auf dem Bettkasten aus, dessen Einlage ein muffiger Strohsack war, und schloss die Augen.
6
Am nächsten Morgen erwachte ich noch vor dem ersten Hahnenschrei. Trotz meiner Müdigkeit hatte ich nur schlecht geschlafen. In wirren Traumbildern hatte ich noch einmal durchlebt, was mir am vergangenen Tag widerfahren war. Dennoch fühlte ich mich keineswegs müde oder zerschlagen. Ich hatte bekommen, was ich wollte!
Der Himmel über Paris war dämmrig violett und kein einziger Laut drang durch die Fensterläden.
Ich erhob mich von meinem Bett, streckte mich und begab mich zu der Waschschüssel unter dem Fenster. Nachdem ich mich gewaschen hatte und mir mit der Hand durchs Haar gefahren war, begab ich mich nach unten, um Feuer zu machen.
Das Schnarchen meines Dienstherrn begleitete mich die Treppe hinunter. Nachdem ich ein kleines Feuer entzündet hatte, öffnete ich die Fensterläden und erkannte das wahre Ausmaß der Verwüstung. Überall lag etwas herum, das da nicht hingehörte. Auf Tischplatte und Boden waren Flecken, deren Herkunft ich mir nicht wirklich erklären konnte.
Ich stellte die herumliegenden Dinge auf Regale oder legte sie in Kisten. Ob das Athos so passen würde, wusste ich nicht, aber da es mein erster Tag hier war, würde er es mir vielleicht nachsehen.
Das Wasser im zweiten Eimer nahm ich zum Wischen. Dabei stellte ich mich alles andere als geschickt an. So war es mir ein Rätsel, wie man gewisse Flecke vom Boden losbekommen konnte. Nun wusste ich, was unsere Mägde geleistet hatten. Unsere Mägde, die ebenso wie meine Familie hatten sterben müssen.
Als mir Tränen in die Augen stiegen, wandte ich mich einem Regal zu, auf dem ich etwas Gallseife fand. Ich schrubbte damit so lange auf den Flecken herum, bis nur noch ein schwacher Schatten übrig blieb – und meine Trauer sich ein wenig zurückzog.
Als ich fertig war, rückte ich die Möbel zurecht. Auf dem Küchenstuhl fand ich den Waffenrock des Musketiers. Ich erinnerte mich noch gut an das reißende Geräusch, als die Klinge des Angreifers den Stoff aufgeschlitzt hatte. Ich hielt die Tunika in die Höhe und entdeckte auf Anhieb den Riss in Höhe des Magens. Nur eine rasche Drehung hatte verhindert, dass Athos tödlich getroffen worden war.
Nachdem ich sämtliche Schachteln und Kisten abgesucht hatte, fand ich schließlich so etwas wie Nähzeug. Die Nadel ähnelte
Weitere Kostenlose Bücher