Der Lilienpakt
Tag so sein.
Als ich schon aufspringen und unruhig umherlaufen wollte, nahm ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Ich drehte mich um und sah Jules den Hang heraufstürmen, als sei der Teufel hinter ihm her.
Ich lief ihm entgegen.
»Chri…stine …«, keuchte er, beugte sich vor und stützte die Hände auf die Knie. »Du … bist … da.«
»Natürlich bin ich das«, gab ich zurück. »Aber jetzt hol erst einmal Luft.«
Keuchend senkte er den Kopf.
Als er sich wieder erholt hatte, fragte ich: »Warum bist du denn so gerannt? Hast du dich heimlich aus der Schmiede geschlichen?«
»Nein, Papa hatte mir etwas zu erledigen gegeben, das länger dauerte als geplant.«
»Und wie hat er mein Verschwinden aufgenommen? War er sehr böse?«
»Böse ist er sicher. Allerdings eher aus Sorge um dich. Er fürchtet, du könntest der Schwarzen Lilie in die Hände fallen.«
Sollte ich dieser Sorge noch mehr Nahrung geben, indem ich Jules von dem Duell berichtete?
»Monsieur d’Athos hat mich als seinen Diener angestellt«, berichtete ich erst einmal. Wenn Jules irgendwann nach dem Grund fragte, würde ich ihn nicht belügen, doch so lange sollte das Duell mein Geheimnis bleiben.
»Das habe ich fast befürchtet«, gab Jules erfrischend ehrlich zurück. »Ich bin mir noch immer nicht sicher, ob es das Richtige ist.«
»Das ist es! Erinnerst du dich noch an den Toten, der aus der Seine gefischt wurde?«
»Ja, den Fremden, den niemand vermisst.«
»Die Leute glauben, dass er fremd ist, aber in Wirklichkeit war es der Diener von Monsieur d’Athos.«
Jules riss überrascht die Augen auf. »Der Diener des Musketiers? Das kann nicht sein!«
»Warum nicht? Er hat es mir selbst erzählt!«
»Dann hat er dir sicher einen Bären aufgebunden. Der Diener von Monsieur d’Athos wäre von irgendwem erkannt worden. Außerdem habe ich nichts von einem Diener gewusst.«
Auch mir erschien das ein wenig seltsam, aber schließlich hatte auch mein Vater Geheimnisse die Schwarze Lilie betreffend …
»Warum hätte er mich anlügen sollen? Er hätte auf meine Frage, ob er schon einmal einen Diener hatte, auch mit Nein antworten können.«
Jules gab sich geschlagen. »Und was hat das alles mit der Schwarzen Lilie zu tun?«
»Ich glaube, Athos vermutet ebenso wie die Leute damals am Fluss, dass die Schwarze Lilie seinen Diener ermordet hat.«
»Hat er das so gesagt?«
»Nein, er hat nur ungehalten reagiert, als ich ihn danach gefragt habe.«
»Das heißt noch lange nicht, dass er einen Verdacht hegt. Sicher hält er das Gerede der Leute über die Schwarze Lilie ebenfalls für Unsinn.«
Das passte nicht zu dem, was ich beobachtet hatte. Dass Athos keinen Diener gehabt haben sollte, machte mich zwar ein wenig stutzig, doch ich glaubte nicht, dass mein Dienstherr log. Vielleicht hatte er jemanden von außerhalb angestellt, den die Leute kaum kannten. Vielleicht war der Ermordete auch noch nicht lange in seinen Diensten gewesen.
Um Jules zu überzeugen, musste ich wohl doch meine Trumpfkarte ziehen.
»Außerdem war Athos vorgestern Nacht in ein Duell mit Mördern der Schwarzen Lilie verwickelt.«
Jules wollte etwas sagen, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken.
»Was? Woher …«
»Ich war dabei.«
»Du warst dabei?« Plötzlich wurde er ganz blass um die Nase.
Wahrscheinlich machte ich jetzt einen großen Fehler. Aber es gab kein Zurück mehr.
»Ich bin dazugekommen, als ich auf dem Weg zu Athos war. Er kämpfte gegen drei Männer gleichzeitig, einen habe ich ihm abgenommen und verletzt.«
Jules schnappte nach Luft und schwankte.
»Du flunkerst mir etwas vor, nicht? Sag, dass das nicht wahr ist!«
»Es ist wahr, und ich würde dich nie belügen, nur damit du das weißt.«
Er rang noch eine Weile nach Worten, dann stieß er hervor: »Du hättest sterben können!«
»Wie du siehst, lebe ich noch.«
»Sie hätten dich erkennen können!«
»Es war dunkel und die Männer mussten eher auf unsere Degenspitzen achten. Einen hat Athos getötet.«
»Und überhaupt, wenn die Schwarze Lilie Athos töten will, solltest du besser nicht bei ihm sein.«
»Wieso? Das wäre doch die ideale Gelegenheit, herauszufinden, wer diese Phantome sind. So wie sie geblutet haben, können sie keine Geister sein.«
Jules hob hilflos die Arme. Es schien, als suchte er einen unsichtbaren Halt. Dann, völlig unvermutet, stürzte er auf mich zu und zog mich in seine Arme.
»Christine, ich will nicht, dass dir etwas zustößt!«
Seine Stimme
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