Der Lilienpakt
zu begreifen. Dann nickte er. »Ihr meint das …« Er tippte sich gegen das Kinn.
Der Großmeister nickte. »Und noch einige andere Dinge, die das Kind zweifelsohne identifizieren. Da unser Gefangener nicht reden will, werden wir zu anderen Maßnahmen greifen müssen.«
»Soll ich ihn foltern?«
»Nein. Ihr werdet Euch die Gruft ansehen und nachprüfen, wer in dem Sarg liegt. Das Ergebnis teilt Ihr mir umgehend mit.«
Der Capitan neigte ergeben den Kopf. »Ich werde alles zu Eurer Zufriedenheit erledigen, Sire.«
Der Großmeister nickte, dann entfernte er sich mit raschelnder Soutane.
Mit jeder Woche, die verging, wurde ich im Erledigen meiner Pflichten besser. Basil schnappte zwar regelmäßig nach mir, aber ich konnte mich mittlerweile beim Striegeln an seine Hinterhände wagen. Ganz traute ich dem Tier immer noch nicht, aber wir schienen so etwas wie einen stummen Waffenstillstand geschlossen zu haben.
Jules’ Laune besserte sich von Treffen zu Treffen, und mittlerweile übten wir wieder Fechten.
Wie ich es nicht anders erwartet hatte, konnte er sonst nichts über den mysteriösen Lilienpakt herausfinden. Und auch Athos hielt sich bedeckt. Gelegenheiten, ihm irgendeine Frage zu steilen, bekam ich nicht.
Dann kam der Musketier eines Tages am helllichten Nachmittag nach Hause. Ich hatte mich schon auf das Treffen mit Jules gefreut und erschrak heftig, als mein Dienstherr durch die Tür stürmte.
»Was ist passiert?«, fragte ich.
»Wir werden eine Reise machen.«
Ich blickte Athos verwundert an. »Eine Reise? Wohin?«
»In die Champagne. Ich soll dort jemandem eine Nachricht überbringen.«
»Eine Nachricht? Wem denn?«
»Das hat dich nicht zu interessieren, Naseweis. Pack ein paar Sachen zusammen und sattle dann die Pferde.«
Damit zog er die Handschuhe aus und hastete hinauf in seine Schlafkammer.
Ich starrte ihm wie vom Blitz gerührt hinterher. Eine Reise! So überstürzt! Und warum sollte ein Musketier des Königs eine Nachricht überbringen? Dafür gab es doch Boten und Kuriere!
Doch mir blieb nichts anderes übrig, als die Pferde zu satteln und dann ein paar Dinge, die wir unterwegs vielleicht brauchen würden, zusammenzupacken. Wobei ich nicht genau wusste, welche Dinge das waren. Ich entschied mich für etwas frische Wäsche und ein wenig Proviant. Natürlich musste auch mein Degen mit, denn auch wenn es einem Diener nicht zustand, fechten zu können, wollte ich für einen eventuellen Überfall gerüstet sein.
Gerade als mich die Erinnerung an die Reisevorbereitungen bei uns zu Hause überfallen wollten, stürmte Athos die Treppe herunter. Seine blaue Tunika hatte er gegen einen wattierten schwarzen Rock ausgetauscht. Über seine Schultern hing ein dunkelblauer Mantel. Die Schlitze an seinen Ärmeln konnte man mit Knöpfen verschließen, sodass er notfalls mit der Dunkelheit verschmelzen konnte. Jetzt wirkte er eher wie ein Spion als ein Musketier.
In seiner Hand hielt er ein ledernes Portefeuille, das mit einem Siegel verschlossen war.
»Das ist das Wappen des Kardinals Mazarin«, stellte ich erstaunt fest.
Athos sah mich überrascht an. »Du kennst sein Siegel?«
Ich nickte. »Ja, mein Vater … hat es mir einmal gezeigt.«
Ich erinnerte mich noch gut an die Unterrichtsstunde, in der es um Kardinal Richelieu und seinen Schüler gegangen war. Damals war der alte Kardinal durch die Lande gezogen, um seine Feinde, die an der Verschwörung von Cinq-Mars beteiligt waren, zu verfolgen. Auch an unserem Dorf war der Tross vorbeigezogen.
»Ist es nicht Sache der Kardinalsgarde, eine solche Nachricht zu überbringen?«, hakte ich nach, während sich Athos anscheinend noch immer wunderte.
»Das klingt ja fast so, als würdest du dich nicht über die kleine Luftveränderung freuen.«
Nein, ich freute mich ganz und gar nicht! Die ›Luftveränderung‹ bedeutete, dass ich Jules eine ganze Weile nicht sehen würde. Und ich hatte nicht einmal die Möglichkeit, ihn davon in Kenntnis zu setzen. Wenn ich einmal nicht auftauchte, wäre das nicht so schlimm, denn er wusste mittlerweile, dass Athos alles andere als ein nachsichtiger Herr war. Doch wenn ich über Wochen hinweg fortblieb, würde er vielleicht glauben, die Schwarze Lilie hätte mich getötet.
»Ich tue, was immer Ihr verlangt«, entgegnete ich ausweichend. »Es ist unwichtig, ob es mich erfreut.«
Athos zuckte mit den Schultern. »Gut, dass du es so siehst, ich würde auch nicht von meiner Meinung abrücken. Sind die Pferde
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