Der Lilienpakt
nicht?«
Henri schüttelte bedächtig den Kopf, dann sagte er zu mir: »Zeigt ihm doch bitte das Papier, das Ihr im Degengriff gefunden habt.«
Ich griff in meine Tasche und zog es hervor.
Der alte Mann griff danach und betrachtete es. Auf seinem Gesicht zeichnete sich dasselbe Erstaunen ab wie bei Athos.
»Ihr seid es wirklich«, murmelte er, während er andächtig über das Papier strich. Die Rückseite schien ihn nicht weiter zu interessieren und ich wollte ihn auch nicht darauf hinweisen.
»Setzt Euch doch!« Mit einer Handbewegung forderte er seinen Sohn auf, mir einen Stuhl zu holen. Ich fragte mich, wann Aramitz ihm wohl von Athos’ Tod erzählen wollte. Immerhin war er sein Neffe gewesen.
Nachdem ich Platz genommen hatte, setzte sich der alte Aramitz mir gegenüber und betrachtete mich eine Weile.
»Die Augen«, murmelte er. »Die Augen sind ganz die der Mutter …«
Welcher Mutter! Meine Mutter hatte doch blaue Augen gehabt …
»Habt Ihr schon einmal etwas über den Lilienpakt gehört?«, fragte mich der alte Aramitz dann.
Ich schüttelte den Kopf. Das Ziehen in meinem Magen war beinahe schlimmer als der Schmerz in meinen Rippen.
»Hat er etwas mit der Schwarzen Lilie zu tun?«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein, mit der Schwarzen Lilie ganz bestimmt nicht. Der Lilienpakt ist vielmehr der erklärte Feind der Schwarzen Lilie.« Der alte Mann machte eine kurze Pause und fügte dann hinzu. »Der Lilienpakt sind wir. Mein Sohn, ich und noch ein paar andere.«
Ich erinnerte mich wieder an den Besucher und die Gespräche über irgendwelche Treffen. Athos was offenbar ebenfalls ein Mitglied des Lilienpaktes gewesen.
»Vor beinahe zwanzig Jahren versuchte Kardinal Richelieu, den Ruf der Königin zu untergraben. Als Spanierin, die eine aktive Korrespondenz mit ihrer Familie unterhielt, passte sie nicht in seine Kriegspläne. Da die Königin bis dahin noch keinen Erben geboren hatte, wäre es möglich gewesen, sie zu verstoßen. Dazu brauchte der König allerdings einen Grund.«
»Und was soll das alles mit dem Lilienpakt zu tun haben?«
»Wartet, darauf komme ich noch. – Auf einem Empfang anlässlich der Vermählung von Prinzessin Henriette Marie begegnete die Königin George Villiers, dem Herzog von Buckingham. Die beiden verliebten sich. Anna war die schönste Frau Frankreichs. Und Buckingham einer der schönsten und mächtigsten Männer Englands. Schon bald tuschelten die Hofdamen über ein mögliches Verhältnis. Und damit hatten sie nicht unrecht. Obwohl Anna versuchte, diese Liebe geheim zu halten, kam es in Amiens zu einer schicksalhaften Begegnung. Einige Monate später merkte die Königin, dass sie schwanger war.«
»Ihr meint, die Königin und Buckingham …« Meine Wangen glühten plötzlich. »Sie hatte ein Kind von ihm empfangen?«
Der alte Aramitz nickte und sah mich abwartend an. »Ja, das hatte sie. Ihr könnt Euch vielleicht vorstellen, in welch großer Aufregung sie war. Ihren Kammerfrauen konnte sie es nicht erzählen, denn die meisten von ihnen standen im Sold von Richelieu. Sie hoffte, dass sie das Kind ebenso verlieren würde wie die anderen zuvor. Doch dieses Kind verlor sie nicht.«
»Und was hat sie getan?«
»Glücklicherweise teilte der König gut einen Monat nach dem Vorfall in Amiens mit ihr das Lager. Als ihr Zustand nicht mehr zu verbergen war, behauptete sie, das Kind sei von ihm. Doch sie wusste genau, dass der Verrat offenbar werden würde, wenn das Kind geboren wurde. Der König hatte dunkles Haar, während Buckingham ebenso blond war wie sie und ebenfalls helle Augen hatte. Sie beschloss also, das Kind, falls es Grund zum Verdacht gäbe, gegen ein totes Kind auszutauschen. Da sie kaum jemandem trauen konnte, wandte sie sich an einen jungen Musketier namens Troisville.«
»Hauptmann Troisville?«
»Ja, der Anführer der Musketiere. Seit Kurzem ein Comte …«
Der Alte lachte in sich hinein, dann fuhr er fort. »Troisville hatte drei Freunde, die loyal zu ihm und der Königin standen. Diese vier setzten sich das Ziel, die Königin vor Richelieu und dem König zu beschützen. Sie versicherten Anna ihrer Treue und trafen insgeheim Vorkehrungen.«
Ich konnte es nicht fassen. Die Königin war eine Ehebrecherin! All die Gerüchte stimmten!
Doch das war noch nicht alles.
»Wochen vor dem errechneten Geburtstermin begab sich Anna mit kleinem Gefolge ins Kloster von Saint-Cloud. Dessen Äbtissin war eingeweiht. Anna erwartete jeden Augenblick die Wehen. Und
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