Der Lilienpakt
ich verstand es nicht, weil mein Herz so laut trommelte.
Plötzlich wurde ich emporgezogen und auf die Füße gestellt. In der Erwartung des mörderischen Dolches wimmerte ich, doch statt der Klinge traf mich eine Ohrfeige.
»Comtesse, hört mir zu!«, vernahm ich jetzt die Stimme des Mannes vor mir. Ich blickte ihm überrascht in die rabenschwarzen Augen. Warum hatte er mich geohrfeigt? Plötzlich wusste ich wieder, wo ich ihn schon einmal gehört hatte! Er war der Mann, der Athos vor einer Weile aufgesucht und mit ihm über den Lilienpakt gesprochen hatte.
»Mein Name ist Henri d’Aramitz. Armand schickt mich.«
»Armand?«
Als mir einfiel, dass dies der Vorname von Athos war, sagte er bereits: »Ihr müsst Euch etwas überziehen, er möchte Euch noch einmal sehen.«
In meiner Angst, dass dies eine Falle sein könnte, um mich in die Gewalt der Schwarzen Lilie zu bringen, entging mir beinahe, was er damit meinte. »Noch einmal sehen? Was heißt das?«
Aramitz presste die Lippen zusammen und senkte den Kopf. »Wir sind in einen Hinterhalt geraten, kurz nachdem wir aufgebrochen waren, um Euch zu sehen. Er konnte einen Angreifer töten, ich tötete einen zweiten. Doch es waren vier. Einer von ihnen hat Armand durchbohrt.«
»Athos ist verwundet?«
Mein Blut schien in diesem Augenblick zu Eiswasser zu werden. Mein Verstand warnte mich zwar, dass dies noch immer eine Falle sein könnte. Doch mein Instinkt sagte mir, dass Aramitz die Wahrheit sprach.
»Bitte beeilt Euch, niemand weiß, wie lange er noch durchhalten wird«, flehte er. Seine Augen glänzten feucht.
Seine Worte lähmten mich eher, als dass sie mich antrieben. »Dann ist er also schwer verletzt?«
»Er wird die Nacht nicht überleben, meint der Arzt. Also eilt Euch, Comtesse, es ist sein Wunsch, Euch noch einmal zu sehen.«
Ich konnte es nicht glauben. Soeben war Athos noch bei mir gewesen, soeben hatte ich ihm gestanden, wer ich war. Er war doch noch nicht alt, es durfte noch nicht vorbei sein!
Ich ignorierte die Schmerzen in meiner Seite, kleidete mich rasch an und nahm meinen Degen an mich. Für alle Fälle. Ich wusste zwar nicht, ob ich die Waffe wie früher würde führen können, doch wenn ich wütend genug war, sollte es mir gelingen, meine Angreifer von mir abzubringen.
Schon auf dem Weg zur Treppe wurde ich eines Besseren belehrt. Meine Knie zitterten so stark, dass ich ein zweites Mal stürzte. Diesmal war Aramitz zur Stelle und fing mich auf.
»Immer langsam, Ihr wollt doch nicht die Treppe hinunterfallen!«
»Ihr seid doch derjenige, der zur Eile drängt«, murrte ich, während ich versuchte, mir den Schmerz in der Seite nicht anmerken zu lassen.
Draußen schneite es so stark, dass man die gegenüberliegende Straßenseite kaum sehen konnte. Der Schnee hatte die Küchenfenster beinahe zugeweht.
»Hier, nehmt meinen Mantel«, bot Aramitz an. Als er sich das Kleidungsstück von den Schultern zog, sah ich, dass er einen Verband am Arm trug.
»Und wohin gehen wir?«
»Zu meinem Haus. Es ist nicht weit von hier entfernt.«
Aramitz legte mir seinen Mantel über die Schultern und setzte mir einen Hut auf, der den Geruch von nassem Hund verströmte. Dann schob er mich aus der Tür.
Misstrauisch blickte ich mich um.
Aramitz verschloss die Tür und händigte mir die Schlüssel aus. Dann umfasste er sanft meinen Arm und zog mich mit sich.
Ich umklammerte den Griff meines Degens, für den Fall eines Angriffs. Doch weder tauchten Männer auf, als wir die Straße hinunterliefen, noch lauerten sie in der schmalen Gasse. An dem einzigen Haus, in dessen Fenstern noch Licht brannte, machten wir halt. Aramitz schüttelte sich den Schnee aus dem Haar, dann öffnete er die Tür.
Ich roch Blut. Ein älterer Mann mit halblangem weißem Haar trat uns entgegen. Seine Kleider und Unterarme waren blutbefleckt. Auch im Gesicht hatte er Blutspritzer.
»Docteur! Lebt er noch?«, fragte Aramitz.
Der Arzt nickte, doch seine Miene war ernst.
Erst jetzt wurde mir klar, dass Aramitz nicht gelogen hatte. Athos war schwer verwundet. Dennoch wehrte sich alles in mir zu glauben, dass er sterben würde.
Ich streifte den Mantel ab und zog mir den Hut vom Kopf. Der Arzt blickte mich seltsam an. Was wusste er?
»Hier entlang«, sagte Aramitz und zog mich dann zu einer halb offenen Tür.
Der Blutgeruch wurde stärker. Im schwachen Schein einer Kerze sah ich blutige Tücher auf dem Boden. In einer Schüssel stand rot gefärbtes Wasser.
Athos lag auf dem Bett.
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