Der Lilith Code - Thriller
war. Denn sie können Aufschluss geben über die Wurzeln unseres Glaubens. Vermutlich hat das aber jemandem nicht gefallen. Denn …«, er zögerte, als wolle er darüber eigentlich nicht reden, »ihr müsst wissen, dass … Zeigt mir doch einmal, was ihr gefunden habt.«
»Abdul, mach es nicht so spannend. Was ist es? Was müssen wir bedenken?« Regina bohrte nach und gab Abdul die Tagebücher. Er nahm sie und blätterte darin herum. Immer wieder wiegte er seinen Kopf, strich über den weißen langen Bart, der wirr in alle Richtungen von seinem Kinn herabhing.
Minuten vergingen. Fatima brachte den süßen Nachtisch und ein Schälchen mit Datteln. Jan und Regina wagten nicht, den in die Bücher vertieften alten Mann zu stören. Still aßen sie und warteten.
»Was habt ihr noch gefunden?«, fragte Abdul unvermittelt. »Wo sind diese Fundstücke?«
Jan antwortete ausweichend: »Bei uns. Wieso?«
»Ich würde sie gern sehen.«
Jan schaute zu Regina, die stumm nickte. Er stand auf und holte aus dem Wohnzimmer seinen Rucksack. Er hatte den Tonzylinder in eines seiner T-Shirts eingewickelt. Jetzt legte er ihn vorsichtig auf den Tisch.
Abdul nahm ihn behutsam in seine Hände und drehte ihn. »Das ist babylonisch. Es gibt von diesen Zylindern zwei Rekonstruktionen, eine in London und eine in eurer Hauptstadt.«
»Und wo?«, fragte Jan.
»Dort steht auch das Ischtar-Tor.«
»Im Pergamon-Museum?«
»Genau, eure Regierungen haben hier und in vielen anderen Ländern gern und häufig unter dem Deckmantel der Forschung geplündert und geraubt.«
»Wären die Schätze hier geblieben, wären sie der Zerstörung anheimgefallen«, wandte Jan ein. »Wenn ich mir den Zustand eures Nationalmuseums in Damaskus in Erinnerung rufe, solltet ihr doch etwas demütiger sein, was das Bewahren von Kulturgütern angeht.«
Regina wurde ungeduldig. Das brachte sie nicht weiter. »Und deswegen seid ihr im Zweiten Weltkrieg auch überall einmarschiert, damit ihr all die Kulturgüter dort schützt?«
Jan funkelte Regina böse an. »Ach, ich vergaß. Österreich, das erste Opferland. Ihr habt ja nicht mitgemacht, euch immer gewehrt. Wer kennt nicht die berühmte Tiroler Résistance?« Abdul lächelte milde. Er hatte nie verstehen können, dass die Deutschen so häufig und unpassend mit diesem Thema anfingen. Man stritt sich als Gast zudem nicht vor den Augen des Gastgebers. Er hob kurz die Hand. »Ich kann die Keilschrift nicht lesen. Da gibt es sicher größere und weisere Menschen. Aber reicht mir doch einmal das Schriftstück.«
Jan gab ihm das postkartengroße, ledrig-braune Stück.
Fatima brachte eine weitere große Kerze, und der Alte beugte sich über das Papier. »Das ist Kamelhaut, und die Aufzeichnungen darauf sind arabisch. Ich kann sie kaum entziffern. Gebt mir ein wenig Zeit.«
Regina stand auf, nahm ihren Rucksack, nickte Jan zu und gab ihm zu verstehen, dass er ihr folgen sollte. Missmutig erhob er sich und schwankte, die Beine etwas taub vom langen Sitzen im Schneidersitz, der Österreicherin hinterher. Sie gingen zu einer gemauerten Brüstung der großen Terrasse, der weißgekalkte Stein leuchtete im Mondschein. Regina zündete sich eine Zigarette an. Unten im Tal leuchteten noch mattgelb einige Lichter, aber immer mehr Bewohner des Dorfes schienen sich zur Nachtruhe zu begeben. Stille trat ein. Nur das Knistern der trockenen Holzscheite im Kessel war zuweilen zu hören.
»Es tut mir leid«, sagte sie in das Dunkle hinein.
Jan atmete tief ein. »Nein, es war auch dumm von mir.«
»Ich wollte, dass er uns hilft, und nicht mit ihm diskutieren.«
»Du hast recht. Ich vergesse, dass wir hier mit unseren westlichen Vorstellungen nicht weiterkommen.« Sie bückte sich und kramte aus ihrem Rucksack zwei kleine Dosen heraus. »Das ist nicht dein Ernst«, sagte Jan erstaunt, aber fast flüsternd.
Regina hielt zwei Dosen syrisches Bier der Marke Sharq in der Hand. »Doch, zur Versöhnung.«
»Wo hast du die denn her?«
»In Aleppo gibt es tatsächlich eine Brauerei. Die ganze Busfahrt über habe ich mich schon darauf gefreut.«
Sie grinsten beide, wie zwei Kinder, die etwas Verbotenes taten. Sie setzten sich auf die Brüstung und blickten hinauf. Ihre Beine baumelten über dem Abgrund.
»Es hat dich sehr verletzt, was der Imam über deinen Schmerz und deine Schuld sagte?«
Ruhig antwortete Jan: »Wenn ein Kind, das man liebt, stirbt, ist das schon ein wahnsinniger Verlust. Aber wenn man selber die Schuld daran trägt,
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