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Der Lippenstift meiner Mutter

Der Lippenstift meiner Mutter

Titel: Der Lippenstift meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: weissbooks
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Er spürte immer noch das Jucken und Brennen, das er unter anderem Mariolas üppigem Grasbüschel zu verdanken hatte.
    Der Franzose trank irgendwann auch auf die Gesundheit seiner Kameraden und seines Bataillons, das nach dem 1 . September 1939 von deutschen Flugzeugen und Panzern zerrieben wurde. Er plusterte sich auf und sagte: »Zum Schluss haben wir den Feind vernichtet! Vernichtet haben wir ihn, zerschmettert! Vom Erdboden weggefegt haben wir ihn, Dresden und Berlin dem Erdboden gleichgemacht! Vernichtet haben wir den Feind für immer und ewig! Zerstört haben wir seine Häuser und Fabriken, mit der Faust seine Hakenkreuze und Totenköpfe zerschmettert, ja, das haben wir mit bloßen Händen gemacht! Das haben wir, Bartek! Monte Cassino kann es dir bezeugen!«, schrie er. Und die Kellnerinnen ließen ihn schreien und den Säbel wetzen und schwingen, denn er war der Franzose, der Eisenbahner, der Bücher las und Gedichte rezitierte. Die Mütter der jungen Kellnerinnen waren mit ihm einst ausgegangen, die Mütter dieser noch unverdorbenen Mädchen hatten ihn einst zum Liebhaber gehabt und ihm nichts vergessen, aber auch nichts verziehen.
    Als sich der Franzose wieder etwas beruhigt hatte, sagte er, dass er am kommenden Sonntag nach Gda ń sk fahren wolle, um endlich seine Tochter Joanna abzuholen. Er habe dafür die Erlaubnis von der Stalinistin und sogar von seinen Töchtern erhalten. In allen Ehren!
    »Du wirst nicht mehr zurückkommen …«, meinte das Schusterkind.
    »Red keinen Unsinn, Bartek! Red keinen Unsinn, Junge! Ich bin keine Jahreszeit und kein Mond – ich kann kommen und nicht kommen. Diesmal komme ich!«
    Und als sich sein Opa beruhigt hatte, erzählte ihm Bartek von Mariola und davon, was am Vormittag in der geschlossenen Schusterwerkstatt ihres Vaters vorgefallen war. Der Weinbrand hatte seine Zunge zum Plaudern gebracht und seiner Moral einen empfindlichen Schlag versetzt. Er hatte doch beschlossen, über die Verführung in der Totenkammer zu schweigen wie ein Stein. Andererseits: Der Weinbrand konnte einen Stein zu Pulver zermahlen, und das war für Bartek eine wichtige Erkenntnis. Er begriff nun auf einmal, warum sein Vater im Alkoholrausch entweder ganz zahm und ein bisschen weinerlich war oder eben ein ekelerregender Schlagetot, der andere bedrohte.
    »Hol der Teufel ihre niederträchtige Seele! Mariola ist so präzise wie der Satan, dessen Pläne nie schiefgehen«, meinte der Franzose, nachdem er sich den Bericht seines Enkels genau angehört hatte – und plötzlich wurde er auch nüchtern. »Sie hat sich an deinem Vater gerächt, du Naivling – alte Zeiten und Schuhe sind das! Und wenn du es noch nicht weißt, so sage ich’s dir jetzt, zumal ich einen im Tee habe! Dein Alter war’s, der die Tochter von Herrn Lupicki im zarten Alter von sechzehn Jahren entjungfert hat! Ein Skandal war es in Dolina Ró ż gewesen! Doch wir haben damals, wie das bei uns so üblich ist, die ganze Geschichte schön unter den Teppich gekehrt! Zumindest hast du davon nichts mitgekriegt, Freundchen! Selbst der alte Lupicki hat nichts gesagt! Gar nichts hat er gesagt! Diese verdammten Schuhe, die er für jeden Kunden reparieren muss − mag auch der Kunde der Teufel persönlich sein –, machen ihn gleichgültig! Doch nun zu dir, Junge – früher oder später musste es geschehen! Sei froh, dass es Mariola gewesen ist. So bleibt der ganze Spuk in der Familie! Auf deine Gesundheit!«, trank er seinem Enkel zu. »Du bist nun ein Mann geworden!«
    Am nächsten Morgen musste sich Bartek zusammen mit seinem Opa Franzose übelste Beschimpfungen von Oma Olcia anhören – aus ihrem Munde klangen sie noch schlimmer als die Flüche und Verwünschungen, die ihr Schwiegersohn Krzysiek manchmal zum Besten gab.
    »Ihr Säufer! Teufel noch mal! Elendig krepieren sollt ihr! Und der Große verführt den Kleinen zum Saufen! Teufel noch mal! Verflixt! Und zum Kuckuck! Und all den Weinbrand, den ihr in euch gekippt habt, haben auch die Toten, die zu ihren Lebzeiten selbst Säufer gewesen sind, mitgetrunken«, schimpfte sie beim Frühstück. »Das ist eure schwärzeste Sünde!«
    Zum Glück musste Olcia für den ganzen Tag verschwinden und sich einer schwierigen Aufgabe widmen – Hilde, ihre Erzfeindin, hatte sie gebeten, ihr beim Kochen und Putzen zu helfen. Ihr Mann liege im Sterben, sagte Hilde, sie müsse Gardinen waschen, für die Schuster Mittagessen kochen, aus Gehacktem Würste drehen, die Spinnweben aus den Ecken der

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