Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
dir keine Sorgen, Hilja. Irgendwie renkt sich schon alles ein. Vorläufig kann ich nichts tun, damit die Fahndung nach Stahl eingestellt wird. Lass uns später gemeinsam überlegen, was wir logischerweise wissen können. Das heißt, ich kann ja aus Rytkönens Bericht wissen, was ich will. Wir hatten bei unserem Gespräch keine Zeugen.» Laitio grinste. «Wenn du etwas von Stahl hörst, melde dich. Was hast du übrigens an Weihnachten vor?»
«Das Restaurant ist geöffnet, Monikas Verwandte und die Familien der Angestellten kommen zum Essen. Am ersten Feiertag ziehe ich um, nach Alppila.»
Ich hatte eine provisorische Unterkunft gefunden, in der Wohnung von Jounis Schwester, die mit ihrem Freund einige Monate durch die Welt trampte. Monika würde bis zum Jahresende bei ihrem Vetter bleiben und dann ihre neue Wohnung in Ruoholahti beziehen, von wo sie das Sans Nom zu Fuß erreichen konnte. Es war gut, dass meine gesamte Existenz aus Provisorien bestand. Das Leben schlug im Moment wilde Purzelbäume, und ich glaubte nicht, dass ich noch lange im Sans Nom arbeiten würde.
«Dann also frohe Weihnachten. Grüble nicht zu viel. Du bist zwar nicht meine Tochter, aber manchmal ist Blut eben doch nicht dicker als alles andere. Ich mag dich ziemlich gern, Hilja.»
Wieder tätschelte Laitio mir die Hand. Ich beugte mich über ihn und küsste ihn auf beide Wangen, ohne mich daran zu stören, dass sein Schnurrbart fürchterlich kitzelte.
Von der Klinik in Töölö ging ich zu Fuß zum Sans Nom. Die Fenster waren weihnachtlich beleuchtet, und die Menschen rannten mit ihren Einkaufstüten zwischen den Schneehaufen hin und her. Die Welt erschien mir fremd, ich war kein Teil von ihr. David, Trankow, Jaan Rand und Rytkönen bildeten in meinem Kopf ein seltsames, schmerzhaftes Durcheinander, das ich nicht so schnell würde entwirren können. Rytkönen war Gezolians Informant gewesen und hatte versucht, David aufzuspüren. Das war ihm nicht gelungen, also war David offenbar noch am Leben. Rytkönen war zudem bereit gewesen, zu glauben, dass es noch eine weitere Organisation gab, die David den Mord an Carlo Dolfini anhängen wollte, und sei es mit gefälschten Beweisen. Trankow zufolge war David in Kaunas gesehen worden, aber Rytkönen hatte ihn in Helsinki gesucht. Ich erinnerte mich an die Gestalt, die ich am Ufer von Långvik gesehen und einen Moment lang für David gehalten hatte, und an den Brief, in dem er behauptete, es mache ihm nichts aus, wenn ich mit einem anderen Mann zusammen wäre. Du siehst den Luchs nicht, obwohl er dich längst entdeckt hat. Es war sinnlos, dass ich nach David suchte. Ich hatte Trankow nicht belogen. Ich wusste wirklich nicht mehr, wen ich liebte.
Es gab jedoch etwas, das ich schnellstens tun musste. Wie aber sollte ich die Kraft dazu finden?
23
Auf der Höhe von Kuopio wurde es schon vor drei Uhr dunkel. Der Zug hatte eine Stunde Verspätung gehabt, und außerdem hatte ich in der Stadt zu Mittag gegessen, bevor ich den Mietwagen abholte und in Richtung Osten fuhr. Es herrschten weit über zwanzig Grad Frost, die Welt schien eingefroren. Ich hatte die Hakkarainens gebeten, die Hütte in Hevonpersiinsaari zwei Tage im Voraus zu heizen, und einen für Extremverhältnisse gedachten Schlafsack mitgenommen, in dem man selbst im kalten Wind am Mount Everest warm blieb. Doch keine Heizung der Welt konnte verhindern, dass ich innerlich fror. Ich fürchtete mich vor dem, was mich erwartete.
Von Kuopio nach Tuusniemi brauchte ich nur eine knappe Stunde, denn die Straße war leer. Die Fahrt endete zu schnell. Im Dorf hielt ich auf dem Parkplatz hinter der Tankstelle und studierte die Karte. Zum Mietwagen hätte ich auch einen Navigator bekommen können, aber ich wollte meinen Orientierungssinn trainieren. Ich lernte die Kreuzungen auswendig: an der dritten nach links, an der zweiten nach rechts, dann an der ersten wieder nach links. In der Dämmerung war es nicht leicht, die Straßenschilder zu lesen, doch ich fand das Gehöft ohne Umwege. Die kleine Straße davor war gründlich vom Schnee geräumt, und das Wohnhaus sah aus, als sei es im Sommer frisch gestrichen worden. Der Bauernhof hatte noch drei Wirtschaftsgebäude. Ich parkte hinter dem Kuhstall, sodass mein Wagen vom Wohnhaus aus nicht zu sehen war. Es war noch nicht Melkzeit, vielleicht befand sich die ganze Familie im Haus.
Ich hatte mein Kommen nicht angekündigt. Was hätte ich auch sagen sollen? Auf keinen Fall wollte ich, dass großes Aufsehen
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