Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
hatte mir früher oft gute Ratschläge gegeben, doch sie hatte keine Ahnung, worin ich diesmal verwickelt war, und ich brachte es nicht fertig, ihr alles zu erklären. Zwei Tage vor der Eröffnung des Restaurants war ich am frühen Abend bei ihr zum Tee. Das Luchsbild, das Juri Trankow gemalt hatte, hing immer noch an seinem Ehrenplatz im Wohnzimmer. Die alte Dame hatte in Trankow einen sympathischen jungen Mann mit unverkennbarer künstlerischer Begabung gesehen. Sie hielt sich für eine gute Menschenkennerin, aber auch sie konnte sich irren.
In der Nacht vor der Eröffnung träumte ich von David. Wir saßen in der Ruine von Montemassi und schauten den Schwalben zu. Plötzlich flog David zu ihnen auf. Er schwebte langsam hinunter ins Tal, und während des Fluges wuchsen ihm am Rücken Flügel. In den frühen Morgenstunden wachte ich tränenüberströmt auf. Ich ging ins Bad und suchte nach Taschentüchern. Am besten vergaß ich den Traum gleich wieder. Er hatte nichts zu bedeuten, es war nur ein Traum.
Monika hatte ihr Restaurant geräumig und hell gestaltet. Die Wände waren sonnenblumengelb gestrichen und würden auch im Winter heimeliges Licht verbreiten. Tische, Stühle und Regale waren aus ökologisch angebautem, einheimischem Fichtenholz, die Sitze mit buntem Stoff in leuchtendem Rot, Schwarz und Grün bezogen. Es gab viele weiche Elemente, die den Schall schluckten, denn Monika meinte, in einer lärmenden Umgebung nehme man den Geschmack des Essens nicht richtig wahr. Von außen wirkte das Gebäude mit seinen gefängnisartigen dunkelbraunen Ziegelwänden nicht unbedingt anziehend. Um den Eingang freundlicher zu gestalten, hatte Monika zu beiden Seiten der Tür Töpfe mit Zypressen aufgestellt. Im Asphalt ließen sich leider keine Bäume pflanzen.
Da man sich zur Eröffnungsfeier nicht anzumelden brauchte, konnten wir nicht abschätzen, wie viel Speisen und Getränke gebraucht wurden. Monika hatte sich auf mehrere hundert Gäste eingestellt. Die Türen sollten um sechs Uhr geöffnet werden, und um halb sechs hatte sich das gesamte Personal versammelt, um zu überprüfen, ob alles bereit war. Meine Aufgabe bestand darin, die Ereignisse im Auge zu behalten. An diesem Abend mutierte ich von der Assistentin zur Ordnungshüterin.
Das Chaos begann schon kurz vor sechs. Monika stand am Eingang und nahm Umarmungen, Küsschen, Glückwünsche und Blumen entgegen. Die jüngste Kellnerin und ich brachten die Sträuße in einen Nebenraum. Monika trug die schwarze Hose, die ich in Tapiola gekauft hatte, und eine sonnengelbe Bluse; ihr Gesicht war wieder so blass wie bei ihrer Rückkehr aus Mosambik.
Helena Lehmusvuo war unter den ersten Gästen. Monika und sie hatten sich schon als Teenager in irgendeiner weltverbessernden Organisation kennengelernt. Ich hatte es Monikas Bürgschaft zu verdanken gehabt, dass Helena mich vor zwei Jahren eingestellt und mir vertraut hatte. Da ich auch diesen Job in gewisser Weise vergeigt hatte, war ich über das Wiedersehen nicht übermäßig erfreut. Helena war noch zierlicher, als ich sie in Erinnerung hatte, die schwarzen Haare und die roten Lippen gaben ihr ein puppenhaftes Aussehen. Doch sie fürchtete sich nicht vor den Mächtigen dieser Welt. Der russische Ministerpräsident Putin war einer ihrer Erzfeinde, denn ihrer Meinung nach beschnitt er die Freiheit des Wortes sowohl in seinem eigenen Land als auch im Ausland.
Helena schenkte Monika ein schwedischsprachiges Kochbuch. Genau das hat ihr gefehlt, dachte ich belustigt. Na, vielleicht war es gut, dass sie sich mit dem Genre vertraut machte, falls sie tatsächlich ein Buch mit den Rezepten des Sans Nom verfasste. Onkel Jari hatte nur ein einziges Kochbuch besessen, ein in rotes Wachstuch eingebundenes Werk aus dem Jahre 1961 . Damit waren wir bestens ausgekommen, denn er hatte die meisten Gerichte ohne Rezept zubereitet. Ich erinnerte mich noch genau an die Abbildungen. Als Zehnjährige hatte mich die Mandelkrokanttorte fasziniert, und ich hatte Onkel Jari gefragt, ob wir die backen könnten.
«Das übersteigt meine Fähigkeiten, aber du kannst es gern probieren», hatte er geantwortet. «Frag Maija Hakkarainen, ob sie dir helfen kann.»
Auch Maija hatte den Kopf geschüttelt. An so feines Backwerk habe sie sich nie gewagt, das sei doch etwas anderes als Hefezopf und Tante-Hanna-Kuchen. Aber ich blieb hartnäckig, wie fast immer, wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt hatte. Aus Butterbrotpapier schnitt ich Backformen
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