Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
zurecht, rieb Mandeln und vermischte sie mit Eiern und Puderzucker. Im Ofen verhielt sich der Teig wie vorgesehen, aber es wollte mir nicht gelingen, die Einzelteile zu einem Turm zusammenzusetzen. Schließlich brachte ich einen fünfzehn Zentimeter hohen, schiefen Klumpen zustande, der kaum Ähnlichkeit mit dem Foto im Kochbuch aufwies. Leicht verlegen zeigte ich ihn Onkel Jari, der ihn eine Weile lang betrachtete und sich dann bemühte, etwas Positives zu sagen.
«Prima, Mädchen, du hast den schiefen Turm von Pisa gebacken!»
Obendrein war die Mandelmasse so furchtbar süß, dass wir sie nicht herunterbrachten. Zu guter Letzt landete das Backwerk auf dem Hof, wo die Vögel es aufpickten. Nach einigen Jahren war mein Backabenteuer bereits eine lustige Erinnerung. Wenn einer von uns «der schiefe Turm von Pisa» sagte, hatten wir sofort den Krokantgeschmack im Mund. In New York hatte ich einmal ein Stück Krokanttorte probiert, doch sie hatte kein bisschen besser geschmeckt als mein Erzeugnis. In meinem letzten Brief an Onkel Jari hatte ich ihm wohl davon berichtet. Wir beide aßen lieber Zimtschnecken und Fisch in Brotteig als irgendwelchen seltsamen Schnickschnack.
Helena grüßte mich flüchtig. Ein Pressefotograf wollte sie zusammen mit Monika ablichten und lotste die beiden zur Seite. An der Bowleschüssel drängelten sich die Leute. Monikas Bruder Petter, ein bildender Künstler, hatte offenbar dort Wurzeln geschlagen. Zu meinen Aufgaben gehörte auch, darauf zu achten, dass er sich nicht sinnlos betrank, und ihn, falls es doch dazu kam, in ein Taxi zu verfrachten. Ich mochte Monikas versoffenen Bruder, der, selbst wenn er sternhagelvoll war, nie bösartig, sondern nur sentimental wurde. Wenn er einen bestimmten Pegel erreicht hatte, machte er mir meist einen Heiratsantrag. Im Laufe der Jahre hatte ich mindestens dreiundfünfzig Mal nein gesagt.
Monika hatte die Speisen auf einem langen Tisch in der Mitte angerichtet, die Gäste aßen an kleineren Tischen ringsum. Ich versuchte ihre Kommentare zu erlauschen, schnappte jedoch nur einzelne Fetzen auf. «Kühn» … «persönlich» … «dieses Restaurant wird den nächsten Sommer nicht erleben». Letzteres äußerte eine boshaft aussehende Frau, die sich die Nase so stark hatte verkleinern lassen, dass sie an eine Hundeschnauze erinnerte. Die künstlichen Wimpern wirkten schwer, es musste anstrengend sein, die Augen offen zu halten. Ich verspürte den Impuls, mich ungeschickt anzustellen und gegen sie zu prallen, sodass Rotwein auf ihre weiße Bluse spritzte, doch damit hätte ich Monika nur geschadet. Hoffentlich verschluckte sich die blöde Kuh an ihrer spitzen Zunge!
Plötzlich packte mich jemand von hinten am Handgelenk. Es war Helena Lehmusvuo. Sie gab sich Mühe, ruhig zu bleiben, doch ich erkannte an ihrem Blick, wie verstört sie war.
«Er ist hier! Der Mann, der mich betäubt hat … Wie ist das möglich?»
Ich begriff sofort, wen sie meinte.
«Juri Trankow? Wo?»
«Da an der Tür, bei dem großen Fenster. Guck!»
Als ich mich um sechzig Grad drehte, hatte ich die Tür im Blick. Trankow betrachtete die Menschenmenge so zufrieden, als wäre er derjenige, der den Ertrag dieses Abends einstreichen würde. Er trug einen ausgezeichnet sitzenden schwarzen Dreiteiler, ein schwarzes Hemd und eine weiße Seidenkrawatte. Die Haare waren mit Gel eng an den Kopf gekämmt. Er sah aus, als wäre er einem drittklassigen Mafiafilm entstiegen.
«Keine Sorge, ich kümmere mich darum. Der Kerl wird dich kein zweites Mal attackieren.»
«Aber er dürfte doch gar nicht in Finnland sein!»
«Nein, dürfte er nicht. Aber ich möchte nicht ausgerechnet jetzt die Polizei alarmieren, das würde zu viel Aufsehen erregen. Bleib ganz ruhig.»
Trankow hatte Helena in sein Auto gezerrt und betäubt. Zu ihrem Glück hatte sie nur verschwommene Erinnerungen an die Entführung, aber ihren Kidnapper erkannte sie natürlich wieder. Ich machte mich auf den Weg zur Tür, kam aber nur langsam voran, denn ich musste einige entfernte Bekannte begrüßen und Petter umarmen, der gerade zum Rauchen nach draußen ging. Trankow stand inzwischen am Fenster, als gehöre ihm die ganze Welt, und zeigte sich nicht im Geringsten überrascht, als ich zu ihm trat.
«Guten Abend, Hilja Ilveskero», sagte er auf Englisch, wobei er Schwierigkeiten hatte, meinen Namen auszusprechen. «Wir haben uns lange nicht gesehen.»
«Ich rate dir, sofort zu verschwinden. Du bist hier nicht willkommen.
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