Der Löwe
anderes Wort für Feigheit.
Er stieg rasch aus dem Taxi, hatte die Blumen in der linken Hand, die Glock in der rechten Jackentasche und den 45er Colt im Hosenbund unter seinem Sakko.
Er ging zur Auffahrt des Hauses, auf der zwei Autos standen. Falls ihn jemand sehen sollte, würde ihm ein Mann in einem guten Sportsakko, der Freunden Blumen brachte, nicht weiter verdächtig vorkommen. Für die Idee mit den Blumen konnte er sich bei seinem ehemaligen Ausbilder bedanken, Boris, dem Russen, dessen Aussage zufolge es sich dabei um einen bewährten KGB-Trick handelte. »Ein Mann mit Blumen in der Hand und einem Lächeln im Gesicht wird nicht als gefährlich wahrgenommen«, hatte Boris zu ihm gesagt. Ja, und Khalil würde sich bei Boris persönlich bedanken, bevor er ihm das Herz herausschnitt. Er lächelte.
Am Ende der Auffahrt stand eine Garage, die durch einen weißen Zaun mit einem Tor mit dem Haus verbunden war. Khalil dachte an die Luftaufnahme des Hauses und erinnerte sich daran, dass der hintere Teil des Grundstücks von einer hohen Mauer und Hecken umgeben war und sich dort ein Patio mit Möbeln und einem Grill befand. Malik zufolge musste Khalil damit rechnen, dass die Familie draußen war; sie hatten keinen Hund. Khalil hörte jetzt Musik aus dem Garten, westliche Musik, die in seinen Ohren unangenehm klang. Er wagte sich ein paar Schritte aus dem Schutz des Hauses, spähte über den niedrigen Zaun und griff zur Glock. Wenn ihn jemand erwartete, dann hier. Aber auf dem Patio war niemand. Er öffnete das Tor und lief rasch zur Hintertür. Dann wurde ihm klar, dass die Musik ihn von hinten andudelte, und er drehte sich um und sah einen Liegestuhl, der in die andere Richtung wies. Auf ihm lag ein etwa fünfzehnjähriges Mädchen in der Sonne, nahezu nackt, nur mit einem winzigen weißen Badeanzug bekleidet, wie er sie
in Europa gesehen hatte. Neben ihr stand ein Radio am Boden, aus dem Musik ertönte. Sie schien zu schlafen.
Er trat zu dem Mädchen, das er von den Fotos her als Nadia erkannte, Haythams Tochter. Während er zu ihr ging, warf er einen kurzen Blick zum Haus, sah aber niemanden, weder am Fenster noch an der Tür.
Er blieb neben dem Mädchen stehen und blickte auf sie hinab. In Libyen wäre sie wegen ihrer Nacktheit ausgepeitscht worden, und ihre Mutter und ihr Vater ebenfalls, weil sie so etwas duldeten. Ihre Mutter würde möglicherweise sogar hingerichtet werden, wenn das Scharia-Gericht sie schuldig sprach. Egal, dachte Khalil, bald würden sie alle tot sein. Er zog das Messer aus dem Strauß.
Das Mädchen musste ihn entweder wahrgenommen oder gespürt haben, dass irgendetwas die Sonne verdeckte, denn es schlug die Augen auf. Es sah das Messer nicht, es sah nur Khalils Gesicht und den Blumenstrauß, den er ihr entgegenhielt. Sie öffnete den Mund, worauf ihr Khalil das Messer in den bloßen Brustkorb stieß, zwischen den Rippen hindurch und tief ins Herz. Das Mädchen starrte ihn an, aber nur ein leiser Ton drang aus ihrem offenen Mund, und ihr Körper bewegte sich kaum. Khalil drehte das Messer herum und ließ es los, dann warf er die Blumen auf ihre Brust.
Er wirbelte herum, zog die Glock und ging zu der Fliegendrahttür. Khalil drehte den Griff um, stellte fest, dass die Tür nicht verschlossen war, und trat in den hinteren Flur, der voller Schuhe und Jacken war. Rechts war ein offener Durchgang, durch den er in eine Küche blickte, in der eine Frau mit dem Rücken zu ihm an der Spüle stand. Sie trug eine kurze Hose, eine ärmellose Bluse und war barfuß. Anscheinend bereitete sie Essen zu.
Khalil schob sich auf den Durchgang zu und konnte jetzt die ganze Küche sehen. Außer der Frau war niemand drin. Er
konzentrierte sich auf den anderen Durchgang, der zum vorderen Teil des Hauses führte, und hörte eine johlende Menschenmenge – offenbar eine Sportübertragung im Radio oder im Fernsehen. Khalil steckte die Pistole ein, trat in die Küche und war mit zwei langen Schritten bei der Frau.
»Nadia?«, sagte die Frau, und als sie den Kopf umdrehte, legte ihr Khalil eine Hand auf den Mund und die andere an den Hinterkopf und stieß sie an die Spüle. Er sah das Messer in ihrer Hand, aber bevor sie es heben konnte, drehte er ihren Kopf herum, bis sie ihn beinahe ansah. Eine Sekunde lang gingen sie auf Blickkontakt, ehe Khalil spürte, wie ihr Genick brach und das Messer aus ihrer Hand fiel.
Sie fing an zu zucken, worauf Khalil sie behutsam zu Boden gleiten ließ, wo sie sich immer noch
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