Der Lord und die Betrügerin
nicht, dass sich die Gäste oder die Familie mit dieser schlimmen Krankheit anstecken.«
Bei Hildys Bemerkung schwieg er, doch es war deutlich, dass er zornig war.
Kiera wartete nicht mehr auf seine Erlaubnis, sie lief zur Treppe.
Sie hörte Schritte hinter sich und dann die Stimme ihres Vaters. »Elyn!« Sie drehte sich nicht um. Das Risiko konnte sie nicht eingehen. Sie hetzte die Treppe hinauf, als hätten ihre Füße Flügel. Oben stürzte sie in Elyns Zimmer und verfluchte sich selbst und ihre Schwester wegen dieses schrecklichen, dummen Plans.
Sie schlug die Tür hinter sich zu, keuchte auf und rang nach Atem, während sie sich gegen die dicken Eichenbohlen lehnte und ihren Blick durch das Zimmer wandern ließ. Das Hochzeitszimmer. Innerlich stöhnte sie auf. Das Bett war neu bezogen, die Binsen, die frisch auf den Boden gestreut worden waren, dufteten angenehm. Dutzende von Kerzen standen auf dem Fensterbrett und den kleinen Tischen, im Kamin knisterte ein Feuer. Auf dem Bett lag ein durchsichtiges neues Nachthemd, rein weiß mit winzigen gestickten Rosen am Halsausschnitt.
Kieras Magen verknotete sich erneut. Wie konnte sie dieses Nichts anziehen und dann in diesem Bett liegen und auf den Mann warten, der glaubte, ihr Ehemann zu sein?
Panik ergriff sie. Sie sollte weglaufen. Sich verstecken. Sollte er doch denken, was er wollte. Sie könnte so tun, als sei sie verrückt. Ja, das war es, verrückt wie der alte Einsiedler, der in seiner Zelle im Westturm eingesperrt war... Nein... Beruhige dich. Atme tief durch. Denke nach, Kiera! Du hast dich in diese Schwierigkeiten gebracht, und nur du, du ganz allein, kannst dich da wieder herausholen!
Eine Sekunde lang dachte sie an diesen atemberaubenden Kuss am Altar, an den Druck von Kelans warmen Lippen auf ihren. Das Blut floss schneller durch ihre Adern, denn sie hatte nie mit ihrer eigenen Reaktion gerechnet. Anstatt angewidert zu sein, hatte sie Neugier gefühlt. Kiera fragte sich, wie es wohl sein würde, wenn er sie ein wenig länger küsste. Sie legte die Fingerspitzen auf ihre Lippen, dann schüttelte sie den Kopf über ihre Dummheit. Was dachte sie nur? Sie konnte doch für diesen Mann keinerlei Gefühle aufbringen!
Ehe ihre Gedanken noch weitere Umwege einschlugen, ging sie durch das Zimmer zum Bett. Zum Ehebett. Elyns Bett. Das Bett, in dem sie die Nacht verbringen würde mit... nein, sie wollte nicht über diese Nacht nachdenken.
Auf dem Tisch neben dem Bett warteten ein Krug Wein und zwei Becher. Genau wie sie es geplant hatte. Sie hob den einen Krug hoch. In den Boden war ein X eingekratzt. Sie sank auf die Knie und suchte in den Binsen neben dem Tisch, bis sie zwei kleine Fläschchen fand. Der Arzneitrank. Und das Blut. Würde es wohl klappen? Sie erinnerte sich an die Entschlossenheit und das Aufblitzen von Intelligenz in Kelans grauen Augen, als er sie geküsst hatte. In dieser Sekunde hatte sie erkannt, dass er kein Mann war, den man leicht hinters Licht führen konnte. Und er würde ihr keinesfalls verzeihen, wenn er erst einmal herausgefunden hatte, dass er betrogen worden war.
Aber sie hatte keine andere Wahl.
Vorsichtig schob sie die beiden Fläschchen an eine sichere Stelle in den Binsen, in der Nähe des Kopfteils des Bettes, wo niemand zufällig darauf treten konnte.
Ganz schwach hörte sie die Musik. Unten hatte das Fest begonnen. Ihr blieb nur noch eine kurze Zeitspanne, bis sie Kelan wieder gegenübertreten musste. Zweifellos würde er mehr als wütend sein. Auf sie. Weil sie ihn bereits wenige Minuten nach der Hochzeit in Verlegenheit gebracht hatte.
Ein Schauer rann durch ihren Körper. Elyn würde die Hölle auf Erden haben, wenn er jemals erfuhr, dass sie ihn an ihrem Hochzeitstag betrogen hatte. Er würde genauso wenig zulassen, dass sie heute Nacht so tat, als würde sie schlafen. Er würde sie aufwecken und seine Rechte als ihr Ehemann verlangen.
Kiera würde wach bleiben müssen, um dafür zu sorgen, dass er den Schlaftrunk zu sich nahm, und sie musste ihn irgendwie auf Abstand halten, bis er eingeschlafen war. Wenn er dann nicht mehr bei Bewusstsein war, würde sie das Blut auf das Laken träufeln. Es musste ihr gelingen.
Sie schickte ein stummes Stoßgebet zum Himmel, ging ans Fenster und starrte in den kalten Wintertag. Erhellt vom fahlen Schein der Sonne, schimmerte die Mauer der Kurtine fast silbern. Hinter der dicken Festung, irgendwo im Wald in der Umgebung, wartete Elyn auf den Mann, den sie liebte.
Ein
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