Der Lord und die Betrügerin
Kelan«, sprach sie weiter. Mitleid lag in ihrem Blick, und Kelan fühlte, wie sein ganzer Körper sich anspannte. »Sie fragt nach dir, und... und es ist nicht mehr viel Zeit.«
Morwenna keuchte auf. Sie rannte aus dem Zimmer, doch Kelan überholte sie auf der Treppe. Er hörte Elyn hinter sich, aber er schaute nicht zurück. Er dachte nur an den Zustand seiner Mutter. Ganz gleich, wie viel Zeit er auch gehabt hatte, um sich vorzubereiten, diese Zeit genügte nicht. Beinahe wäre er mit der Krankenschwester zusammengestoßen, die gerade aus Lenores Zimmer lief.
»Oh, Lord Kelan, es tut mir so Leid...!«, rief sie mit zitternder Stimme.
»Nein!« Er wollte es nicht glauben. Er stürmte ins Zimmer und entdeckte Daylynn, die neben dem Bett saß. Tränen rannen über ihr blasses Gesicht, der Arzt rang die Hände, und der Priester murmelte ein Gebet.
»Mutter...« Er lief zum Bett, doch seine Mutter bewegte sich nicht, ihre Brust unter der Decke hob und senkte sich nicht mehr. »Nein«, flüsterte er, und tief aus seiner Seele stieg der Schmerz in ihm empor.
»Ich habe getan, was ich konnte«, erklärte der Arzt. »Ich habe ihr Schwarzwurz gegeben für ihre Knochen, und ich habe Blutegel benutzt und...«
»Genug!«, befahl Morwenna. »Wir machen Euch keinen Vorwurf.«
Kelans Herz brach. Er hatte gewusst, dass dieser Tag kommen würde, natürlich. Er hatte sich sogar eingeredet, darauf vorbereitet zu sein. Aber jetzt nistete ein dicker Kloß in seinem Hals. Seine Augen brannten, und ein unendlich quälender Schmerz erfasste seine Seele. Seine Mutter war immer auf seiner Seite gewesen, immer hatte sie ihn unterstützt, und jetzt... und jetzt war sie nicht mehr da. Es war undenkbar, und dennoch hatte er gewusst, dass es so kommen würde, hatte gedacht, dass er es erwartete. Aber so war es nicht. Nicht in seinem Inneren. »Lasst uns allein«, wandte er sich an die Dienerschaft, und seine Stimme klang heiser. Erstickt. »Lasst uns mit unserer Mutter allein.«
Hastige Schritte ertönten auf der Treppe, und Tadd platzte zerzaust und mit zerknitterter Kleidung ins Zimmer. Er starrte voller Entsetzen auf das Bett. »Warum hat mich niemand gerufen? Warum hat man mir nicht gesagt, dass... dass das Ende nahe war?«, ächzte er, und sein Gesicht verzog sich krampfhaft.
»Das Ende kam so schnell«, erklärte der Arzt indigniert. »Ich war zuvor bei ihr, und obwohl sie sehr schwach war, schien sich keine Änderung anzubahnen. So war sie schon seit Tagen.«
»Sie war todkrank«, fuhr Kelan auf. Er war die Streitereien leid. Seine Mutter war gestorben, es hatte keinen Zweck, jemandem dafür die Verantwortung zu geben oder zu klagen.
»Elyn war die Letzte, die sie lebend gesehen hat«, meinte Morwenna, und ihre Stimme klang hart. »Hast du nicht bemerkt, dass sie dem Tode nahe war?«
Kiera nickte. »Sie war sehr müde.«
»Du hast mir ihr allein gesprochen?«, fragte Kelan.
»Aye. Sie wollte mich sehen.«
»Allein? Aber wir waren doch gerade erst...« War das nicht eigenartig? Eine Sekunde lang dachte er wieder an die Fläschchen, die er im Schlafzimmer von Lawenydd gefunden hatte. Hatte sie ihn damals nicht betäubt? Hatte sie nicht Ahnung von Tränken, die einen Menschen schläfrig oder matt machen konnten oder ihn sogar nicht mehr aufwachen ließen? Würde diese Frau, die er geheiratet hatte, es wagen, seiner Mutter etwas zu geben, das sie umbringen würde? Oh, nein. Das ergab überhaupt keinen Sinn. Warum sollte Elyn seiner Mutter schaden wollen?
»Sie hat nach mir geschickt.«
»Also war die Dienerin bei ihr?«
»Eine Weile.« Kiera schluckte und holte dann tief Luft. »Aber sie hat Rosalynn aus dem Zimmer geschickt.«
»Warum?«
»Sie wollte mit mir allein sprechen.«
»Worüber?«, verlangte Morwenna zu wissen und trat einen Schritt näher.
Kiera fühlte die Blicke aller auf sich, alle Gesichter waren ihr zugewandt, als könnte sie, als die Letzte, die mit ihrer Mutter gesprochen hatte, ihnen eine Art Einblick oder Trost geben. Sie sah von einem zum anderen, doch in ihren Worten lag keinerlei Trost. Sie hatte keine Antworten, und sie fühlte den drängenden Wunsch, die Wahrheit über ihr Doppelspiel zu gestehen, doch nicht jetzt, wo die Familie schockiert war und trauerte. Das konnte sie nicht. Feigling, wisperte eine Stimme in ihrem Kopf, doch sie weigerte sich, darauf zu hören. Sie musste mit Kelan allein reden. »Lady Lenore wollte mit mir über meine Ehe mit Kelan reden.« Kiera warf ihm einen Blick zu
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