Der Lord und die Betrügerin
Hochzeitskleid in dem schäbigen Sonnenzimmer von Lord Nevyll, Brocks Vater, stand, den Schleier auf ihrem Kopf noch zurückgeschlagen.
Außer dem Baron war auch ihr eigener Vater im Zimmer. Zwei weitere Wachen standen an der Tür, eine davon gehörte zu Oak Crest, der andere Mann war aus Fenn. Alle erlebten ihre Schande mit. Auch die Gäste würden ihre Schande mitkriegen ... Lords und Ladys, die in dieses entsetzliche Schloss gekommen waren, um ihrer Hochzeit beizuwohnen, und jetzt schockiert sein würden, nur um später den Klatsch genüsslich weiterzuverbreiten, wie sie auf ihren Bräutigam gewartet hatte. Sie würde zum Gespött aller werden. Nein. Das durfte sie nicht zulassen.
»Sucht ihn«, befahl sie, und Panik stieg in ihr auf. »Brock ist irgendwo im Schloss, da bin ich ganz sicher. Ihr müsst ihn nur finden. Er hatte heute schon zu viel getrunken, vielleicht ist er irgendwo eingeschlafen.«
Aber selbst in ihren eigenen Ohren klang diese Erklärung schwach. Noch schlimmer, sie klang, als käme sie von einer verzweifelten Frau. Wut loderte in ihrem Inneren. Verlegenheit nahm ihr das klare Urteilsvermögen. Wie konnte Brock es wagen, sich vor der Eheschließung zu drücken? Wie konnte er es wagen ? Was bildete er sich eigentlich ein, dieser niedrige Sohn eines alternden Barons, mit einem Schloss, das fast zerfallen war? Er hatte nicht das Recht, sie so zu behandeln. Oh, wenn sie ihn in ihre Hände bekam, dann würde sie ihm zeigen, was es bedeutete, eine Lady auf ihrer eigenen Hochzeit warten zu lassen! »Aber seid diskret. Es wäre nicht gut, wenn die Gäste glauben, dass er beinahe seine eigene Hochzeit verschläft!« Allein bei dem Gedanken kroch ihr eine unangenehme Hitze über den Nacken bis in ihre Wangen.
»Aye«, stimmte Nevyll ihr schnell zu. Er schluckte und rang nervös die Hände, wie eine Jungfrau, die mit einem Wüstling das Bett teilen soll. »Mein Sohn ist im Schloss. Wie Lady Wynnifrydd schon gesagt hat, hat er vielleicht die Hochzeit schon ein wenig zu früh gefeiert und schläft jetzt irgendwo, weil er die Zeit vergessen hat...« Er plapperte so, als sei er voller Hoffnung, auch wenn er seine magere Entschuldigung wohl kaum selbst glaubte, doch wenigstens wollte er, dass alle anderen sie ihm abnahmen. »Sucht auf den Zinnen, den Türmen, in den Verliesen, sucht jeden Zentimeter des Schlosses ab. Ihr werdet ihn finden...«
Nevyll klammerte sich an Strohhalme, denn er musste es besser wissen. Sein Lächeln wirkte schief und unsicher. Es war absurd zu glauben, dass Brock die Zeit oder sogar seine eigene Hochzeit vergessen hatte! Und dennoch, welch anderen Grund konnte er haben als den, vor dem Wynnifrydd sich am meisten fürchtete, nämlich, dass er sie einfach hatte sitzen lassen? Wynnifrydd biss die Zähne so fest zusammen, dass ihr Kiefer schmerzte und in ihrem Hinterkopf sich Kopfschmerzen ausbreiteten, während sie daran dachte, dass Brock ihr noch nie treu gewesen war. Niemals. Nicht einmal, als sie ihm von dem Baby erzählt hatte... das es in Wirklichkeit natürlich überhaupt nicht gab. Sie hatte sich vorgenommen, nach der Hochzeit so zu tun, als hätte sie eine Fehlgeburt erlitten, um dann rasch wirklich schwanger zu werden.
Wo zum Teufel war er? Sie strich die Falten ihres Hochzeitskleides glatt, einer herrlichen Kreation aus weißem Samt und Spitze. Jetzt war das Kleid nutzlos, ein Gespött ihrer verzweifelten Lage.
Ein hässlicher schwarzer Gedanke stahl sich in ihren Kopf.
Wenn nun Elyn von Lawenydd gar nicht tot ist? Wenn sie wirklich Kelan von Penbrooke geheiratet hatte und Brock jetzt Wynnifrydd weglief, um Elyn zu entführen und sie für sich zu beanspruchen? Wenn er Wynnifrydd absichtlich erniedrigen wollte? Vielleicht wusste er ja, dass sie gar nicht schwanger war, wie sie behauptet hatte. Vielleicht wusste er, dass sie ihn auf diese Weise nur zwingen wollte, sie zu heiraten.
»Meine Männer und ich haben überall gesucht, M'lord«, erklärte der Soldat. Er war ein Bär von einem Mann mit einem voluminösen Bauch und einem roten Gesicht. Er breitete ratlos beide Hände aus. »Wir haben vom höchsten Turm bis zum niedrigsten Verlies gesucht und nichts ausgelassen. Sein Bett ist unbenutzt, seine Hochzeitskleidung liegt auf seiner hölzernen Truhe. Es ist so, als habe er sich in Luft aufgelöst.«
Das wenigstens schien zu stimmen. Wynnifrydd hatte Brocks herrlich gearbeiteten Umhang gesehen, seine fein gesponnene Tunika und seine Hosen, gebügelt wartete das alles
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