Der Lügner
Schwindlers ist, das uns, wie wir zu erkennen nicht zurückschrecken dürfen, zu einem schreckensstarreren Dickens bringt, zu einem, wenn Sie so wollen, kafkaeskeren Dickens.«
Der Interviewer nickte.
»Meines Wissens hat die Universität die Film- und Fernsehrechte an
Peter Flowerbuck
bereits verkauft?«
»Das ist ihrem Wesen nach keine untriftige Behauptung.«
»Machen Sie sich Sorgen, daß dieser Schritt, noch bevor die Echtheit des Manuskripts offiziell festgestellt worden ist, Ihnen eine zukünftige Blamage bereiten könnte, falls es sich als Fälschung herausstellen sollte?«
»Wie Ihnen bekannt sein wird, haben wir in St. Matthew’s eine Reihe von Textkritikern eingestellt, die mit großem Aufwand am Text arbeiten, um dessen Authentizitätsgrad zu bestimmen. Sie werden eine linguistische Partikelanalyse und Bildcluster durch ein Computerprogramm laufen lassen, das ebenso verläßlich ist wie eine Laboranalyse.«
»Auktoriale Fingerabdrücke?«
»Auktorial ist eine häufig angewandte Bezeichnung, Fingerabdrücke, es ist möglich, es so zu nennen.«
»Und wie sicher sind Sie, daß dies ein echter Dickens ist?«
»Lassen Sie mich in Umkehrung Ihrer Frage sagen, daß ich nicht sicher bin, daß es kein Dickens ist.«
»Lassen Sie mich in Umkehrung Ihrer Antwort sagen ›Scheiße‹«, sagte Adrian.
»Pst!« machte Jenny.
»Also wirklich. Symphonische Visionen.«
»Ich halte es nicht für unbedeutend«, fuhr Andersen fort, »daß zu einem Zeitpunkt, da Englischinstitute an meiner Universität und Hunderte anderer von Kürzungen bedroht sind, eine solche Entdeckung reiner Gelehrsamkeit Aufmerksamkeit für das erregen und vollständig bestätigen sollte, was durchaus zu Recht als die umzingelte Disziplin der Anglistik wahrgenommen wurde.«
»Es ist auf jeden Fall eine sehr lukrative Entdeckung. Wie genau kam sie eigentlich zustande?«
»Auf die Existenz des Textes wurde ich von einer meiner Studentinnen am Newnham College aufmerksam gemacht. Sie hatte an meinen Seminaren über Derrida und sexuelle Differenz teilgenommen und eine Reihe eigenständiger Forschungsprojekte in abweichenden Formen viktorianischer Ethik verfolgt. Sie fand die Papiere in der College-Bibliothek von St. Matthew’s, verborgen unter alten Heften des ›Cornhill‹-Magazins.«
»War ihr klar, worauf sie da gestoßen war?«
»Sie war sich über seinen potentiellen Mangel an Bedeutungslosigkeit nicht im unklaren.«
»Soweit ich gehört habe, hat ein Philologe Ihrer eigenen Abteilung, also ein Kollege, Donald Trefusis, Zweifel an der Echtheit des Fundes geäußert?«
»Ich glaube, ich halte es für von unschätzbarem Wert, Zweifel anzumelden. Schließlich haben wir es den wiederholten Nachfragen des Professors zu verdanken, daß unsdie erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt wurden, das Manuskript zu erforschen.«
»Dr. Anderson, viele Leute wie ich selber, die
Peter Flowerbuck
gelesen haben, waren vor den Kopf gestoßen von der Offenheit und dem Detailreichtum, mit dem sexuelle Aktivitäten und das Wesen viktorianischer Kindesprostitution beschrieben werden. Glauben Sie, Dickens beabsichtigte überhaupt eine Veröffentlichung?«
»Wir durchstöbern im Moment sämtliche biographischen Quellen, um einen Schlüssel zur Antwort auf diese äußerst legitime Frage zu finden. Vielleicht darf ich jedoch umgekehrt fragen: ›Hätte er es nicht zerstört, wenn er gewollt hätte, daß es nicht gelesen wird?‹ Ja?«
»Verstehe.«
»Ich kann mir selbst das Recht auf den Glauben nicht absprechen, daß er es hinterließ, damit es gefunden werde. Daher schulden wir es ihm, es jetzt zu veröffentlichen.«
»Es ist natürlich kein abgeschlossenes Werk. Es liegt Ihnen bloß ein Fragment vor.«
»Das ist eine zutreffende Aussage.«
»Glauben Sie, daß eine Chance besteht, den Rest des Manuskripts zu entdecken?«
»Falls es existiert, zweifeln wir nicht daran, das übrige ausfindig zu machen.«
»Ganz herzlichen Dank, Dr. Anderson. Die drei gegenwärtig erhaltenen Kapitel von
Peter Flowerbuck
, herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Tim Anderson, werden ab Oktober bei der Cambridge University Press zum Preis von vierzehn Pfund und fünfundneunzig erhältlich sein. Die Fernsehserie der BBC, die derzeit produziert wird und für die Malcolm Bradbury den Schlußgeschrieben hat, wird voraussichtlich im Frühjahr 1981 auf unseren Bildschirmen erscheinen.«
Jenny stand auf und schaltete den Fernseher aus.
»So«, sagte Gary,
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