Der Lügner
»damit hätten wir den Köder ausgeworfen, und zwar voll nach Plan. Was machen wir jetzt?«
»Jetzt«, sagte Adrian, »warten wir ab.«
II
Adrian legte den Spazierstock ab und lockerte die Krawatte. Gary setzte sich auf die Stufen und wischte sich die Stirn mit einem lächerlichen Taschentuch aus grell zinnoberroter Seide. Jenny sprach sie von der Feuerleiter aus an.
»Ich habe nur ein paar Anmerkungen zu machen«, sagte sie. »Es gibt einen alten Theaterspruch: ›Schlechtes Kostüm, gute Vorstellung‹; leider muß ich sagen, daß eure Kostüme ausgezeichnet waren. Die technische Seite der Show steht. Die größte Unwägbarkeit bleibt die Zeit, die das Publikum braucht, um Adrian in den Hof hier zu folgen. Das werden wir erst heute abend wissen. Alles ist da: Schreitet voran und genießt es. Wir alle warten jetzt nur noch auf den letzten Regisseur – das Publikum. Wenn es euch nichts ausmacht, hier in der Sonne zu bleiben, komm ich gleich mit Einzelbemerkungen zu euch.«
Jenny hatte Tim Anderson um Erlaubnis gebeten,
Peter Flowerbuck
inszenieren zu dürfen, und seine Dankbarkeit für die Entdeckung des Manuskripts hatte es ihm unmöglich gemacht, ihr den Wunsch abzuschlagen.
»Jenny, darf ich Sie an dieser Stelle fragen, wie Sie auf der Bühne vorzuführen gedenken, was letztlich kein Theaterstück ist?«
»Haben Sie nicht selbst einmal gesagt, Dr. Andersen, daß die gesamte theatralische Energie im viktorianischen Großbritannien nicht ins Drama, sondern in den Roman einging?«
»Das habe ich in der Tat gesagt, ja.«
»Die Royal Shakespeare Company plant offenbar eine Dramatisierung von
Nicholas Nickleby
, und bestimmt eignet
Peter Flowerbuck
sich noch mehr für die Bühne. Wenn wir den Amateur Dramatic Club benutzen, können wir mit den Zuschauern nach draußen gehen, wenn Adrian sich zur Lasterhöhle aufmacht. Der Hof neben dem Theater hat bereits viel von einem viktorianischen Slum.«
»Ich bin wahnsinnig gespannt.«
»Gut.«
»Jenny, darf ich fragen, ob Sie bei der Vorbereitung oder dem Abschluß einer Bühnenfassung noch Hilfe brauchen?«
»Oh, die schreibe ich nicht. Adrian Healey erledigt das.«
»Healey? Mir war nicht bekannt, daß er autorisiert worden war, das Manuskript zu lesen.«
»Oh, er hat es schon gelesen.«
Jetzt kletterte sie die Feuerleiter herab und trat mit einem Packen Notizen an Adrian und Gary heran.
»Die Polterneck-Szenen sind im großen und ganzen in Ordnung«, sagte sie zu Gary. »Aber lern, um Himmels willen, endlich die Rede in Szene zwölf richtig.«
»Was passiert in Szene zwölf?«
»Da kaufst du Joe. Apropos, wo ist Hugo?«
»Hier bin ich.«
»Ich möchte die Szene am Russell Square mit dir und Adrian noch mal proben. Die steht noch immer nicht. Laßmal sehen … Ich habe noch ein paar Notizen für die anderen. Wenn ihr schon mal geht und einen Textdurchlauf auf der Bühne macht, schick ich Bridget rüber und komm in zehn Minuten nach.«
Hugo und Adrian gingen zusammen ins Theater.
»Nervös?« fragte Adrian.
»Ein bißchen. Meine Mutter kommt. Ich weiß nicht, was sie davon halten wird.«
»Deine Mutter?«
»Sie ist Schauspielerin.«
»Warum hat mir das keiner erzählt?«
»Warum sollte das jemand?«
»Weiß ich auch nicht.«
Es wäre auch dann eine schwierige Szene geworden, wenn nicht gerade Hugo Joe gespielt hätte. Adrian ging sie noch einmal im Kopf durch, wie ein Ansager im dritten Programm, der die Zusammenfassung einer Oper verliest.
Flowerbuck, stimmte er für sich an, hat den Knaben Joe Cotton in sein Haus am Russell Square zurückgebracht, überzeugt davon, es mit dem Sohn seiner Schwester zu tun zu haben. Bei seiner Ankunft versucht Joe sofort, sich auszuziehen, da er sich nicht vorstellen kann, daß man im Hause eines Gentlemans etwas anderes von ihm erwartet. Peter und Mrs. Twimp, seine Haushälterin, beruhigen ihn und lassen ihm ein Bad ein. Mrs. Twimp, gespielt von Bridget Arden, führt ihre persönliche Note von wortverdrehender Komödie in die Szene ein, in der sie versuchen, Joe über Einzelheiten seiner frühen Kindheit auszufragen. Sein Gedächtnis ist äußerst schwach. Er erinnert sich an einen Garten, ein großes Haus und eine blonde Schwester, aber an wenig sonst. In diesem Augenblick und unter allerAugen Blicke wird auch das Gedächtnis Adrians, der Flowerbuck spielt, äußerst schwach, und er vergißt immer wieder seinen Text.
Nach dem Bade wird Joe zum Essen in den Salon geführt. Genauer gesagt, der Salon kommt
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