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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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ganzen Schlamassel zu vergessen. An Trotter dachte man mit jeder Art Verachtung und Abneigung, die junge Engländer von rechtem Schrot und Korn für Kranke, Verrückte, Arme und Alte bereithalten.
    Die Beerdigung fand um zehn Uhr morgens statt, weswegen Tickford beschlossen hatte, sie sollten am Abend zuvor abreisen und die Nacht in einer Pension verbringen. Während der gesamten Fahrt starrte Cartwright aus dem Fenster.
    Er fängt an, Trotter seine postume Macht über ihn übelzunehmen, dachte Adrian.
    Auch die Tickfords sprachen nicht viel. Es ging um eine Pflicht, die sie nicht gerade genossen. Adrian, der das Reisen noch nie vertragen hatte, mußte Ma Tickford, die am Steuer saß, zweimal bitten, den Wagen anzuhalten, damit er sich übergeben konnte.
    Er konnte sich nicht klarmachen, warum er Cartwright auf diese Weise mit hineingezogen hatte. Eine Art Rache, nahm er an. Aber wofür? Und an wem? Eine Rache am Gespenst Trotters oder am lebenden, atmenden Cartwright?
    Er war nicht der bittersüße Nachtschatten, er war ein tödlicher Nachtschatten. Jeder, der irgend etwas mit ihm zu tun hatte, war tödlich vergiftet.
    Aber sie existieren nicht, sagte er sich immer wieder, während sie die A1 hinaufratterten. Andere Menschen existierten nicht. Trotter ist nicht wirklich tot, weil er nie wirklich am Leben war. Das alles ist eine schlaue Methode, mich zu testen. Niemand sitzt in diesen Autos und Lastern, die nach Süden fahren. So viele individuelle Seelen kann es gar nicht geben. Nicht Seelen wie meine. Dafür ist kein Platz. Es kann einfach nicht sein.
    Aber angenommen, das Gespenst Trotters beobachtete ihn? Inzwischen würde Trotter alles wissen. Würde er ihm vergeben?
    Ab jetzt passe ich mich an.
     
    Er hätte es sich denken können, daß Tickford ihm und Cartwright in der Pension ein Doppelzimmer geben würde. Schließlich wurde die Rechnung von der Schule beglichen.
    Ihr Zimmer lag am Ende eines knarrenden Flurs. Adrian öffnete die Tür und dienerte Cartwright hinein.
    Männlich, unbeteiligt und geschäftsmäßig, sagte er sich. Zwei gesunde englische Schulkameraden teilen sich eine Bude. Holmes und Watson, Bunny und Raffles. Sonst nichts.
    »Und, Cartwright, alter Junge – welches Bett möchtest du?«
    »Ist mir ziemlich egal. Ich nehm wohl das hier.«
    »Gut. Dann besetze ich als erster das Bad.«
    Wie alle englischen Hotels, in denen Adrian je gewohnt hatte, war auch dieses schrecklich überheizt. Er zog sich aus und schlüpfte nackt ins Bett, während Cartwright sich im Badezimmer die Zähne putzte.
    Also dann, Healey, warnte er sich. Du sollst dich benehmen. Kapiert?
    Er schaltete seine Nachttischlampe in dem Moment aus, als Cartwright zurückkam, prächtig gekleidet in einen himmelblauen Pyjama aus aufgerauhter Baumwolle, und am Handgelenk einen Kulturbeutel schwang.
    »Gute Nacht, Cartwright.«
    »Nacht.«
    Adrian schoß die Augen. Er hörte, wie Cartwright die Pantoffeln abstreifte und zu Bett ging.
    Laß ihn nicht das Licht ausmachen. Mach, daß er sich ein Buch nimmt. Bitte, Gott, bitte.
    Er spitzte die Ohren und hörte, wie eine Seite umgeblättert wurde.
    Danke, Gott. Du bist ein Schatz.
    In den nächsten fünf Minuten ließ Adrian sein Atmen sich zwanglos zu einem langsamen Rhythmus vertiefen, bis jeder Zuschauer geschworen hätte, er schliefe fest.
    Dann begann er, den Anschein eines unruhigeren Schlafes zu erwecken. Er drehte sich um und stieß einen kleinen Seufzer aus. Die Daunendecke fiel zu Boden. Er rollte sich ganz auf die eine Seite, so daß das Oberlaken sich löste. Eine Minute später drehte er sich gewaltsam auf die andere Seite und trat mit dem Fuß, so daß das Laken sich zur Decke gesellte.
    Jetzt lag er nackt auf dem Bett, atmete schwer und krümmte sich. Cartwrights Licht war noch an, aber Seiten wurden nicht mehr umgeblättert.
    »Adrian?«
    Es war ein leises Flüstern gewesen, aber Cartwright hatte eindeutig gesprochen.
    »Adrian …«, murmelte Adrian als Antwort, schnarchte das Wort fast, als er sich zu Cartwright umdrehte, den Mund offen, die Augen geschlossen.
    »Adrian, bist du in Ordnung?«
    »Im Tal ist niemand mehr«, sagte Adrian und warf einen Arm hinüber.
    Er hörte Cartwrights Bett knarren.
    Los geht’s, dachte er, jetzt geht’s verdammt noch mal los!
    Cartwrights Füße tapsten durchs Zimmer.
    Er steht neben mir, ich fühle es!
    »Ich eß sie nachher … nachher«, stöhnte er.
    Er hörte das Rascheln eines Lakens und merkte, wie eine Daunendecke über ihn

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