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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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erfolgreicher Schachspieler sich überhaupt absetzen müssen? Die verdienten viel Geld, das sie behalten durften, ihnen waren unbegrenzte Auslandsreisen und sogar Bankkonten im Ausland gestattet. Ungarn war doch, um Himmels willen, nicht Rußland oder die Tschechoslowakei. Der dunkelgraue Anzug, der sein Land jahrelang verraten hatte, sah sich von Unmut und Ärger über diesen jungen Verräter durchbohrt.
    »Kleiner Scheißer«, dachte er bei sich. »Was stört ihn denn so an Ungarn, daß er nach England abhauen muß?«

SECHS
     
     
    Gerade als Adrian sich ernsthaft zu langweilen begann, leitete der Präsident das Ende der Besprechung ein.
    »Also«, sagte er, »es ist ziemlich spät geworden. Wenn es keine weiteren Meldungen gibt, würde ich gerne …«
    Garth Menzies erhob sich und lächelte das Lächeln der Gerechten.
    »Es gibt noch etwas, Rektor.«
    »Kann das nicht warten?«
    »Nein, Sir. Ich glaube, das kann es nicht.«
    »Nun, dann nur zu.«
    Adrian fluchte innerlich. Sie alle wußten, welches Thema Menzies aufs Tapet bringen würde, und Menzies wußte, daß sie es wußten. Sie hatten die Chance gehabt, selbst darauf zu sprechen zu kommen, und sie nicht genutzt. So sei es denn. Nun gut. Andere Männer mochten vor ihrer Pflicht zurückschrecken, aber nicht ein Garth Menzies.
    Er bellte sich die Kehle frei.
    »Ich bin erstaunt, Mr. President, wirklich erstaunt, daß in dieser Besprechung an Vertagung überhaupt gedacht werden kann, ohne erst die Trefusis-Affäre diskutiert zu haben.«
    Ein Dutzend Köpfe sah angespannt auf die Tagesordnung hinab. Ein Dutzend Pobackenpaare verkrampften sich.
    Er hatte es gesagt. Der Mann hatte es gesagt. Welch ein Mangel an Takt. Welch kränkende Ungehörigkeit.
    Am anderen Ende des Tisches putzte sich ein Mathematiker, der sich auf Strömungslehre und die Verführung von Newnham-Mädchen im ersten Semester spezialisiert hatte, pikiert die Nase.
    Jene von Adrians Gliedern, die noch nicht angespannt nach unten blickten oder sich verkrampften, brachten es fertig, vor Mißbilligung zu zittern.
    Wie unglaublich typisch es für Garth wieder einmal war, ein Thema auf den Tisch zu bringen, das jeder andere im Raum so elegant umgangen hatte. Wie infantil die Rhetorik, mit der er behauptete, darüber erstaunt zu sein.
    »Ich sehe mich vor der Frage«, sagte Menzies, »wie wir uns dabei fühlen, unter uns einen Verbrecher zu haben?«
    »Also wirklich, Garth …«
    »Allerdings, Rektor, einen Verbrecher.«
    Menzies, groß und dünn, das Gesicht so weiß, glänzend – und in Fraktur wie der Titel der Vierteljahresschrift für Zivilrecht, auf deren Herausgeberschaft er so stolz war, hatte seinen linken Daumen ins Revers seines Mantels gehakt, beugte sich jetzt aus der Hüfte vor und schwenkte in der rechten Hand eine Ausgabe der
Cambridge Evening News
, mit der er einen Streich auszuführen hoffte.
    Adrian überlief ein Frösteln beim Anblick eines erwachsenen Mannes, der auf so fadenscheinige Weise die Pose des ruhmreichen Anwalts vor Gericht einzunehmen versuchte. Egal, wie alt er wurde – und auf seinem Schädel befand sich kein dunkles Haar mehr –, Menzies würde nie imposanter aussehen als ein Klugscheißer aus der Sixth Form. Wie ein Klugscheißer aus der Sixth Form einer
Grammar School
, dachte Adrian. Er gab einen schrecklichen Enoch-Powell-Typ ab. Eine Art pubertärer Malvolio, der nur aus Ellbogen und glänzenden Schläfen bestand.Adrian fand Menzies so einschläfernd wie seine Archetypen; unaussprechlich anzusehen, gefährlich abzutun.
    Menzies ärgerte sich über seine weitverbreitete Beliebtheit, weil er merkte, daß sie sich unlogischen und unbedeutenden Umständen verdankte wie seinem Mundgeruch, seiner Stimme, seinem Schnüffeln, seinem Gang, seiner Kleidung, seiner ganzen Ausstrahlung. Aus diesem Grunde widmete er sich mit all dem elenden Eifer der Einfältigen der Aufgabe, der Welt noch bessere Gründe für ihren Ekel zu liefern. Das zumindest war Adrians Interpretation. Donald behauptete immer, den Mann zu mögen.
    Wenn Donald Trefusis jetzt anwesend gewesen wäre und ihn gesehen hätte, die Zeitung zur Hand und Zerstörung zum Vorsatz, hätte er, da war Adrian sich sicher, seine Meinung geändert.
    Präsident Clinton-Lacey an der Stirnseite des Tisches schaute auf seine Tagesordnung und bedeckte die Augen. Unter der Hand zog er in Adrians Richtung eine Augenbraue hoch wie ein Schüler, der unter seiner Tischplatte einen Witz weitererzählt. Aber in seinem Blick lag

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