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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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wohlhabendsten Kunden in Nadelstreifen die rauhen Burschen suchten, während die wilderen, weniger angesehenen Freier eher die schmächtigeren Jungen wie ihn wollten. Gegensätze zogen sich an. Die Jakobs wollten haarige Männer, und die Esaus wollten glatte. Das hieß, daß er mehr als die meisten anderen lernen mußte, die Sadisten und die Abgedrehten rechtzeitig zu erkennen, die auf der Suche nach einem Sexsklaven waren. So ungefähr das letzte, was Adrian sich wünschte, war, daß man ihn ankettete, auspeitschte und anpinkelte.
    Er hielt seine Tarife für wettbewerbsfähig, aber nicht entwürdigend. Jemandem einen zu blasen kostete zehn Pfund beim Geben, fünfzehn beim Nehmen. Nach einerWoche entschied er, sich allen Analverkehr zu verbitten. Einige mochten das, andere nicht: Adrian beschloß, daß er zur zweiten Kategorie gehörte. Als er nach einer besonders schweren Nacht die Coventry Street runterhoppelte und sich beschwerte, seine Hintertür fühle sich an wie mit Sandpapier behandelt, meinten ein paar Jungs, daß er sich bald daran gewöhnen würde, aber er entschied sich – sollte es auch finanzielle Nachteile bringen –, daß seine hintere Hälfte eindeutig zu stoßfreiem Gebiet erklärt wurde. Das war eine Klausel, die er Freiern bei Verhandlungsbeginn klarmachen mußte: zwischen den Schenkeln war kein Problem – schließlich war die intercrurale Methode von so autoritativen Quellen wie den antiken Griechen höchstpersönlich gebilligt worden –, aber er wollte doch ein Saftarsch sein, wenn er sich den Arsch einsaften ließ. Solange er ihn hoch bekam, machte es ihm nichts aus, einen Freier zu sodomieren, aber seine eigene Rosette war Sperrgebiet für alle, die da kamen.
    Wenn das Geschäft schlecht lief, mischten er und einige andere sich unter die Journalisten und professionellen Sohotrinker im French House in der Dean Street. Gaston, der wenig glaubhaft so genannte Wirt, hatte nichts gegen ihre Anwesenheit, solange sie dort nicht Kunden abzuschleppen versuchten. Dafür war das Golden Lion nebenan da. Die Stammgäste allerdings – verbitterte Maler und Dichter, für die die Siebziger ein unwillkommenes Vakuum gewesen waren, das man mit Wodka und Argumenten gefüllt hatte – konnten auf wüste Weise unhöflich werden.
    »Eure Sorte Unrat können wir hier nicht gebrauchen«, brüllte eines Nachmittags ein Rundfunkredakteur, dessen wäßrigen Samen Adrian erst am Abend zuvor ausgespuckt hatte. »Verpißt euch hier!«
    »Wie unerzogen!« hatte Adrian ausgerufen, bevor Gaston statt dessen den Rundfunkredakteur an die Luft gesetzt hatte.
    Die meisten Strichjungen waren wie Adrian freiberuflich; ein oder zwei hatten Luden, aber im allgemeinen war Zuhälterei ein Merkmal der komplexer strukturierten Schwesterbranche der weiblichen Prostitution. Die Jungen waren frei, zu kommen und zu gehen, wie es ihnen gefiel, niemand nahm ihnen einen Teil des hartverdienten Geldes weg. Das Geld kam in zufriedenstellender Menge herein, aber Adrian merkte, daß er wenig hatte, wofür er es ausgeben konnte. Aus Alkohol machte er sich nicht viel, und vor Drogen hatte er viel zuviel Angst, als daß er auch nur in Versuchung geraten wäre, eine einzige Pille oder einen einzigen Zug von irgendwas Verbotenem zu nehmen. Jeden Tag ging er zum Postamt hinter St. Martin’s in the Field und deponierte seine Einkünfte auf einem Konto, das er unter dem Namen Hugo Bullock eröffnet hatte. Das wuchs jetzt ganz nett.
    Um die Hühnchen sorgte er sich allerdings. Kinder im Alter von elf, zwölf und dreizehn Jahren. Einige waren sogar noch jünger. Adrian war keine Mutter Teresa und viel zu feige, um sie zu bitten, nach Hause zu gehen. Außerdem waren sie härter drauf als er und hätten ihm eh nur geraten zu verduften. Überdies hatten sie ihr Zuhause verlassen, weil das Leben dort noch schlimmer war, zumindest in ihren Augen, als das Leben auf der Straße. Wenn es etwas gab, was diese Kinder wußten, dann, wo und wann sie unglücklich waren: Es gab keine Wolke der Moralität, die ihnen Klarheit und Scharfblick vernebelte. Bei der Mehrheit der Strichjungen waren sie jedoch unbeliebt, weil sie Fernsehdokumentationen anzogen, Säuberungskampagnenund polizeiliche Aufmerksamkeit, was dem freien Handel hinderlich war und ihm widerstritt. Ihre Kunden, die man naheliegenderweise Hühnerhabichte nannte, waren nervöser und vorsichtiger als Adrians Freiersorte, weswegen die Hühnchen viel mehr rennen mußten, als er jemals gewagt hätte. Sie

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