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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Stimme antwortete: »Ich weiß nicht«, würde Onkel David, wie Dutzende vor ihm, schnauben und auf den Tisch hauen und ihn anschreien: »Was soll das
heißen
, du weißt es nicht? Du mußt es wissen. Antworte mir!«
    Adrian starrte auf den Teppich.
    »Also?« fragte Onkel David.
    »Ich weiß nicht«, sagte Adrian trotzig.
    »Was soll das
heißen
, du weißt es nicht? Du mußt es wissen. Antworte mir!«
    »Ich war unglücklich.«
    »Unglücklich? Und warum konntest du das niemandem
sagen
? Kannst du dir vorstellen, wie deine Mutter sich fühlte, als du nicht nach Hause gekommen bist? Als niemand wußte, wo du warst? Das heißt,
unglücklich
zu sein. Kannst du dir das vorstellen? Nein, kannst du natürlich nicht.«
    Abgesehen von einem Zinnkrug zur Taufe, einer Bibel zur Konfirmation, einer Ausgabe von
Wisden
zu jedem Geburtstag und dem regelmäßigen plumpen Schulterklopfen und ›meine Güte, bist du aber groß geworden‹ hatte Onkel David seine Patenpflichten Adrian gegenüber nicht gerade mit spektakulärer Gewissenhaftigkeit erfüllt,und es war beunruhigend zu sehen, wie er jetzt funkelte und wie seine Nasenlöcher schweratmend bebten, als faßte er die Flucht seines Patenkindes als persönliche Beleidigung auf. Adrian fand, er hatte es sich nicht verdient, so wütend auszusehen.
    »Ich hatte das Gefühl, ich mußte einfach weg.«
    »Das glaub ich. Aber so verstohlen, so … hinterlistig. Sich fortzuschleichen, ohne ein Wort zu sagen. So handelt ein Feigling und ein Lump. Du wirst den Brief schreiben.«
    Onkel David verließ das Zimmer und schloß die Tür hinter sich ab. Adrian seufzte und drehte sich zum Tisch. Auf dem Tisch fiel ihm ein silberner Brieföffner in Form eines Kricketschlägers auf. Er hielt ihn ins Licht und sah das eingravierte Autogramm von Donald Bradman, das schräg über die Splissung lief. Adrian ließ ihn in die Innenseite seiner Jacke gleiten und begann zu schreiben.
     
Unter einem Porträt des Prinzen Ranjitsinhji, in einem
komischen kleinen Büro nahe dem
Long Room
,
Lord’s Cricket Ground, Juni 1975
 
Liebe Mutter und Vater,
es tut mir so leid, daß ich weggelaufen bin, ohne Lebewohl zu sagen. Onkel David sagt, ihr hättet Euch Sorgen um mich gemacht, hoffentlich nicht zu große.
Ich wohne in einer Pension, 14 Endicott Gardens, Highgate, und arbeite in einer Theateragentur namens Leon Bright’s, 59 Denmark Street, WC2. Ich bin eine Art Bürobote und Mädchen für alles, aber es ist ein guter Job, und ich hoffe, bald eine Wohnung mieten zu können.
Ich bin gesund und munter, und es tut mir wirklich leid, wenn ich Euch Unannehmlichkeiten bereitet habe. Ich werde bald schreiben und ausführlich erklären, warumich das Gefühl hatte, weg zu müssen. Bitte versucht, mir zu verzeihen, Eurem
Euch liebenden Sohn
Adrian
PS: Ich habe heute den neuen Kapitän des englischen Teams getroffen, Tony Greig.
     
     
    Zwanzig Minuten später kam Onkel David zurück und las es durch.
    »Ich denke, das reicht. Ich behalte ihn und seh zu, daß er auf die Post kommt.«
    Er musterte Adrian vom Kopf bis zur Sohle.
    »Wenn du halbwegs anständig aussähst, würde ich dich einladen, von der Mitgliedertribüne aus zuzuschauen.«
    »Das geht in Ordnung.«
    »Komm morgen mit Krawatte, und ich seh zu, was ich tun kann.«
    »Das ist furchtbar nett. Das wäre wirklich toll.«
    »Die geben dir frei, um Kricket zu sehen, ja? Bei diesem Laden in der Denmark Street? Einfach so?«
    »Wie das Auswärtige Amt, meinst du?«
    »Gut gegeben, du freche kleine Ratte. Und laß dir die Haare schneiden. Du siehst aus wie ’ne Nutte.«
    »Mein Gott! Wirklich?«
    Adrian ging weder am nächsten noch an einem der folgenden Tage zu Lord’s. Statt dessen kehrte er zu seiner Arbeit zurück und hatte Zeit, auf der Tottenham Court Road herumzuhängen und in den Reihen von Fernsehgeräten in den Schaufenstern der Elektroläden Tony Greigs sechsundneunzig und Lillees irrwitzige dreiundsiebzig mitzukriegen.
    Das Risiko, Bekannte zu treffen, war hoch. Er erinnerte sich, wie Dr. Watson in der ersten Sherlock-Holmes-Geschichte Piccadilly Circus als eine große Jauchegrube beschrieb, die jeden Müßiggänger und Faulenzer des Weltreichs unwiderstehlich anzog. Jetzt sah es so aus, als ob die Anziehungskraft des Circus mit schwindender Größe des Weltreichs angewachsen wäre. Großbritannien war eine leerlaufende Badewanne, und ihr Abflußloch Piccadilly schien fast hörbar zu gurgeln, während es die letzten paar Liter Gülle aufsog.
    Es

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