Der Lüster - Roman
Autobus begegnet war – eine wahre Dame, Esmeralda –, fast das Beeindruckendste an der Stadt. Wie schön sie war – Esmeralda lauschte mit Bitterkeit im Gesicht, ihrer verlorenen Jugend – wie schön sie war. Den Rest aber konnte sie nicht in Worte fassen. Wie ihr von den Augen erzählen, der Lebendigkeit und Sorge darin, von dem begierigen Mund und dem vorgereckten Hals, der ein Gesicht zeigte, entsetzlich selbstsüchtig und ohne Blick für die anderen. Sie war länger draußen gewesen – das sah man –, nahm jetzt den Autobus heimwärts, die Lippen hart vor Enttäuschung, aber sie wollte keine Hilfe, niemand hätte ihr helfen können, sie verachtete die anderen mit Grausen. Ohne Zweifel kam sie gerade von einem Ort, der in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielte. Der mit weichen schwarzen Federn besetzte Hut war lächerlich elegant. An den großen, feinen Ohren, die Farbe dunkel, sehr gewaschen, sandten prunkvolle Ohrringe unvermittelte Glanzpfeile aus und verliehen damit dem Gesicht insgesamt ein schroffes, bedrohliches Leben. An den Fingern teurer Schmuck und ein Ehering; sie setzte sich in den Bus, schwankte mit der Bewegung des Fahrzeugs hin und her, die Hand fest an der Lehne der Sitzreihe davor, das Gedächtnis fern, das Gesicht stolz, ernst, hart und glühend, aber es würde auf rohe Weise demütig, heftig und aufgelöst sein, für irgendwen – für irgendwen, den sie auch jetzt noch suchte. Sie streckte die Hand mit dem Ehering und den anderen Ringen aus, in Gedanken mit ihrem Gesicht, das gewiss zu großer Demütigung fähig war und das liebte; sie war verheiratet und verletzt, man sah das, man sah das. Esmeralda hörte zu, die Augen verloren sich, während ihre Vorstellung arbeitete, ein herber und unerträglicher Neid trocknete ihre Lippen. Virgínia beobachtete sie, erriet mit Überraschung, wie sehr sie beide aus etwas Einschmeichelndem, Ängstlichem und Niedrigem gemacht waren, wie sehr sie letztlich Schwestern waren. Unwillig und entmutigt wechselte sie das Thema, erzählte, ihre kleine Wohnung habe einen eigenen Aufgang gehabt, an ihrer Tür habe aber auch das große Treppenhaus vorübergeführt, den ganzen Tag habe man Schritte gehört, nach oben und nach unten. Sie erzählte, einmal auf dem Heimweg, zu der Stunde, wenn in der Stadt die Lichter ausgingen … Esmeralda fiel ihr ins Wort:
»Was?«
Virgínia verstand nicht:
»Wie, was?«
Esmeralda sagte fast erschüttert und unsicher, als hätte sie Angst, daran zu rühren:
»Was du gerade gesagt hast.«
Virgínia hatte Mühe zu verstehen, was sie meinte; schließlich, ihre Überraschung verbergend, wiederholte sie:
»Wenn in der Stadt die Lichter ausgehen …«
»Ja, genau«, sagte Esmeralda kühl, »sprich weiter.« »Warst du nie im Theater?«, fragte sie noch.
»In keinem einzigen«, sagte Virgínia.
Eines Abends war sie ins Konzert gegangen, in Begleitung von Vicente und Adriano; in einem kleinen Restaurant nahmen sie ein leichtes Abendessen ein, und sie fühlte sich wohl, schlicht und fröhlich. Im Foyer des Theaters erstarrte sie vor erhitzten Pelzen, vor Nasen, weich von Puder, einer Kälte aus Licht, sauberen, gefrorenen Bewegungen. Die Frauen funkelten ruhig, unter Geflüster. Sie selbst fühlte sich auf groteske Weise menschlich in ihrem blauen Wollkostüm und den cremefarbenen Schuhen, das Haar zur Seite gescheitelt und offen. In einem kleinen Taschenspiegel besah sie sich heimlich ihr Gesicht, das ernst war, lang, blass und groß – eine gescheiterte Nonne mit harten Märtyreraugen. Der Konzertsaal keuchte erhitzt, und die Noten des Klaviers hallten einsam zwischen den Fächern wider. Sie war nicht in der Lage, die Musik zu genießen, flüchtete sich aber mit einer gewissen Beklommenheit in den Klang, das weiße Gesicht der fernen Bühne zugeneigt, den Körper beherrscht und steif. Während Adriano hinten in der Loge verschwand, während Vicente den Blick ganz natürlich über diese höhere Welt schweifen ließ; in der niemand wusste, dass sie und Esmeralda Dienstmädchen sein könnten, mit Freude und Neugier.
»Nein, so gut wie in keinem.«
»Und über was hast du mit den Leuten geredet?«
»Ach, keine Ahnung … Natürlich habe ich mit ihnen nicht so geredet wie mit dir … Man sieht zu, dass man über angenehme Dinge spricht, zeigt, dass man eine Erziehung genossen hat, dass man weiß, was Umgangsformen sind, die Sitten an anderen Orten … Man zeigt, dass man nicht die Tochter von irgendeinem Niemand
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