Der Lüster - Roman
ist.« Sie wurde munter, die Augen beweglich, Speichelbläschen bildeten sich an den Mundwinkeln. »Dort in der Stadt, wenn du dich da nicht zu wehren weißt, bleibst du auf der Strecke … Glaubst du, ich habe unter all den Leuten so geredet wie jetzt? Sicher nicht! Da sieht man zu, dass man nichts falsch macht, sagt Dinge …«
Esmeralda nickte. Während sie, die Augen noch immer ins Leere gerichtet, an sich selbst zurückdachte, wie sie mit dem Finger drohte: Wenn ich dich um eine Zigarette bitte, gib mir bloß keine, ja? und dann bat sie um eine, der andere sagte nein, sie bat nochmal, der andere sagte wieder nein, so, so – sie sah sich einen Moment lang um, leicht bedrückt. Bald jedoch fand sie wieder zu einer lächelnden Kraft. Esmeralda nickte, musterte sie mit wachsendem Interesse.
»Hattest du einen Freund?«
»Nein«, sagte Virgínia – die zwei Frauen sahen einander fest in die Augen.
»Bist du am Meer entlangspaziert?«
Sie erzählte ihr vom Meer, dachte dabei in Wirklichkeit an Vicente, an seine Wohnung. Sie mochte kühl sein, was Männer anging, aber wie empfänglich war sie für das Meer. Die Wellen formten sich an der Wasseroberfläche, ohne etwas zu ändern an der stillen, gewaltigen Masse – und das bewegte in ihr einen Impuls, der ernst war und gefährlich. Die größten Wellen ließen den Geruch von Salzschaum in der Luft zerplatzen. Nachdem sich das Wasser an den Felsen gebrochen und sich rasch wieder zurückgezogen hatte, blieb in den Ohren ein Widerhall wie aus einer Wüste, eine Stille aus kleinen Wörtern, zerkratzt und knapp, aus Sand und nochmal Sand.
»Hast du auch gebadet?«
Vicente hatte sie viele Male mitnehmen wollen, aber sie hatte sich geschämt. Schwankend, zögerlich in ihrer Orientierungslosigkeit, schien sie die Lust zu fürchten, die sie empfinden würde. Die Vorstellung, das Meer könne sie umspülen, trübte ihren Blick, während sie sich mit einem tiefen Seufzer offenbarte, wie gerne sie das gespürt hätte, und Esmeralda saß nachdenklich da, hörte ihr Schweigen, ohne zu verstehen. Am Ende war sie nie auf Vicentes Ansinnen eingegangen, sie hatte nämlich Angst vor dem Meer, Angst davor, zu ertrinken. Und ebendas sagte sie zu Esmeralda, und fast nur das wusste sie selbst.
»Nein, habe ich nicht. Das macht einem Angst.«
»Ich weiß«, sagte Esmeralda.
Dann fragte und fragte sie weiter wie jemand, der voller Unruhe tastet, ohne je zu der Frage zu finden, die er wirklich gerne stellen würde. Virgínia begriff sie ohne Worte, während sie sich in aufrichtiger Tiefe ansahen und über verschiedene Dinge redeten. Sie wusste, dass Esmeralda gerne von dem Tag gehört hätte, an dem sie zerstreut und müde im Bus saß; auf einmal die reglosen Gesichter über den Körpern, die Hitze der Reifen, der Staub, glänzend gegen die Sonne, mit einem Mal eine Bewegung ihres eigenen Arms am Sitz oder an der Brust entlang, sie weckte in ihr das Begreifen der Wollust, die in sanften, ununterbrochenen Schwingungen die Luft durchzog und mit brüchigen, bebenden Fäden die Lebewesen verband. Da bebte der Mund einer Frau, fast weinend oder fast lachend vielleicht; und der Hals jener anderen, glatt und dick, versteift durch Bewegungen, die unterdrückt und verschlossen waren; und die Hand des Mannes mit der hellen Haut, wie endlich auf den Haltegriff am Sitz gestützt, starrend von Ringen, die seine langen alten Finger gefangen hielten … nur noch kurz, und der Moment würde sich auflösen in einen unterdrückten Schrei, in Wut, Wut und Schlamm. Doch bald fuhr der Bus wieder an, die Fahrgäste drangen mit ihm in eine düstere, stille Straße vor, die Zweige der Bäume wiegten sich gelassen. Virgínia wusste auf unbestimmte Weise, dass es das war, was Esmeralda zu hören hoffte, sie wusste, dass sie ihr hätte erzählen sollen, was in einem gewissen Bus geschehen war; aber sie sah abermals, ohne zu verstehen, die Gesichter vor sich, die darin fuhren, und hätte nur denken und sagen können: Eine Hitze war das! alle waren so müde, es war zwei Uhr nachmittags – nichts weiter. Und Esmeralda hätte nicht begriffen.
»Gibt es da viele Frauen, die nichts taugen?«, fragte Esmeralda düster, sich der Frage nähernd.
»Ja, die gibt es.«
»Ah …«
Die zwei verharrten nachdenklich, abwartend.
»Wie sind die denn so?«, fuhr Esmeralda mit dem Fragen fort.
»Einmal war ich im Café, und da saß so eine vor einem Glas Saft, die hat immer zur Seite geschaut. Sie war schlank,
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