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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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klein, die Augen geschminkt, auf einer Seite fehlte ihr ein Zahn. An einem der Tische neben ihr saß ein Fass von einem Mann, der hat gelacht und sie gefragt, leise, aber ich hab’s genau gehört: Was trinken Sie denn da? Und sie: Orangensaft, und der ist bitter.«
    »Bloß das?«, fiel ihr Esmeralda ins Wort.
    »Ja, bloß das: Orangensaft, und der ist bitter.« Sie hielten kurz inne und sahen einander ins Gesicht. »Die beiden haben sich eine Weile angeschaut, dann hat sie gesagt: Du bist ganz schön dick! Er hat gelacht, die Augen zusammengekniffen, erst ohne zu antworten, aber dann: Ja, ja … Da haben sie angefangen zu lachen. Ich hatte Angst, dass sie mich sehen, und bin gegangen.«
    »Ah …« Esmeralda musterte sie und fügte mit einem Lächeln, das von irgendeiner Lust zeugte, hinzu: »Ich wäre dageblieben.«
    Virgínia hob die Schultern, müde und zerstreut. Die Pension, in der sie damals wohnte, lag unweit einer Straße, in der einige vage verrufene Häuser standen. Eines Sonntagnachmittags kamen ein paar Frauen – zwei schlanke mit Augenringen und zwei mehr oder weniger dicke, rosige, mit durchdringendem Blick – in die gute Straße, schlenderten an der Pension vorbei, an den Stühlen auf dem Gehsteig, einigen Ehefrauen verschlug es schier den Atem: Also, hier auf Männerfang gehen zu wollen! … Sie sagten nicht: »sich einen Mann« oder »Männer zu suchen«, sondern »auf Männerfang gehen«. Aber nein, begriff Virgínia verwirrt, sie waren nicht auf Männerfang. Ihre Haare waren noch nass von der Dusche, die Kleider hell und ruhig, und sie kamen Arm in Arm in die richtige Straße, um durch den Sonntag der anderen zu spazieren. Hätte ein Mann sie wiedererkannt und angesprochen, sie hätten dem wohl nachgeben müssen, weil sie ihr eigenes Wünschen schon nicht mehr zuließen, vielleicht hätten sie sofort nachgegeben, überrascht und nachdenklich, melancholisch und grob, lachend und sich amüsierend. Virgínia verstand sie so sehr, dass sie erschrak, auf einmal reserviert und streng; sie umging Esmeraldas Fragen mit Gereiztheit und Missbilligung. Esmeralda beobachtete sie aufmerksam, die Augen konzentriert. Sie war langsam und mit Mühe dabei, Virgínias Dasein zu akzeptieren, und es gelang ihr nicht, anzunehmen, dass die Schwester wirklich eine andere Frau sein könnte. Sie beugte sich zu ihr, folgte ihrer Erzählung mit einer gewissen Geringschätzung und mit leichter Ironie, trotz ihres Interesses. Was Virgínia anging, so erlebte sie zum ersten Mal ein Gespräch unter Frauen. Auch ohne Liebe oder Verständnis war es gut, sich mit Esmeralda zu unterhalten. Unter Frauen bestand keine Notwendigkeit, über bestimmte Dinge zu reden, das Wesentliche war schon ausgesprochen, gleichsam bevor sie geboren waren, und es blieben lediglich zahme und frische persönliche Eindrücke, die man erzählen konnte, kleine Variationen und Begebenheiten. Es war ein vertrautes, unbedarftes Gespräch, gewissermaßen eine Klage, gewissermaßen eine Verteidigung; eine Hoffnung, zusammengesetzt aus Ratschlägen voll mit langer Erfahrung, während die Augen tief in die Augen tauchten, versunken und fast zerstreut, schwer von fernen Gedanken; die Stimme sank, langsamer und leiser. Zum Schluss saß Virgínia zurückgelehnt im Stuhl, mit vagen Augen, schweigend, während die andere die Wange in ihre Hand stützte, die der Ellbogen über dem Tisch hielt. Nicht so unter den Frauen aus dem Umfeld Vicentes; sie schienen auf Männer spezialisiert zu sein; sie fühlten sich überlegen und fröhlich, wenn sie sich ihnen rein freundschaftlich gaben, und bildeten dabei eine heroische und vage verruchte Clique, erstaunt über sich selbst.
    »Ist es dort sehr laut zum Schlafen?«, fragte Esmeralda. »Und die Kinos? Und dieser Vicente, wo hast du den kennengelernt? Wie ist er?«
    »Daniel hat mich mal zu einem Fest mitgenommen und mich ihm vorgestellt … Er … also … eigentlich ist er ein ganz normaler Mensch … Ich weiß nicht, er hat nichts Besonderes an sich. Er trägt eine Brille.« Sie hätte niemandem sagen können, nicht einmal zu sich selbst, wie er war. Und doch, wie kannte sie ihn innerlich, aufgezeichnet in den Reaktionen ihres Körpers. Sie spürte ihn gut, wenn sie durch eine Anstrengung des Willens und der Erinnerung die leichte Abneigung erneuerte, die ihr Fleisch in seiner Anwesenheit befiel; wie die schnelle und sofort flüchtige Wahrnehmung eines Parfüms: ein leichtes Zusammenziehen unter der Haut; weniger

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