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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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einzunehmen, vorsichtig zusammen mit Vicente oder unter taktvollen Fremden in Restaurants –, da sah sie mit unterdrücktem Schrecken, mit demselben Eindruck, den sie beim ersten Mittagessen nach der Ankunft gehabt hatte, wie sie aßen, mit offenem Mund kauend und in unverhohlenem Genuss; sie schlangen alles gierig herunter, schoben den leeren Teller von sich, gleichgültig und satt. Esmeralda stützte die Arme bis in die Mitte des Tischs; wenn etwas auf dem Teller der Mutter ihr gefiel, streckte sie ohne ein einziges Wort die Gabel danach aus; die Mutter billigte das mit einem raschen Brummlaut. Mit einem gewissen Widerwillen war sie auf der Stelle gerührt, bekam das Essen nicht herunter, Tränen in den Augen – so schwach und gealtert war sie durch die letzten Zeiten in der Stadt, so schrecklich war es, die Familie versammelt zu sehen, wie sie still und gefräßig zu Mittag aß. Am Abend ließ dann auch sie sich gehen, und bei Tisch waren alle einander ähnlich. Sie sah die anderen und fühlte sich jetzt mit ihnen verbunden, sie wusste, auf welche Weise sie sie lieben konnte – so stark war der Geist des Hauses. Es gab Momente, in denen das Esszimmer und die über die Teller geneigten Körper, die Stille von draußen auf dem Feld, die Stimmung, die keine einzelne Empfindung hätte andeuten können, durch sie intensiv begriffen wurden – sie hielt inne, die Gabel in der Luft, und betrachtete die anderen reuevoll und glücklich. Sie empfand eine Art Entsagung, die einem langsamen Schritt nach vorne glich, mit zahmer Überraschung stellte sie fest, dass sie heiraten könnte, schwanger werden, sich um die Kinder kümmern, fröhlich scheitern, sich in einem Haus bewegen und Leinenservietten besticken, eine Wiederholung, ja, Wiederholung des Schicksals der Mutter.
    Und als ob sie alle begriffen, dass sie endlich wieder da war, wurden die Speisenden ruhig und fröhlich; sie verweilten am Tisch, im Gespräch, lachend, sagten einander erst spät gute Nacht, um dann langsam auf die Zimmer zu gehen, die Gesichter noch lächelnd und nachdenklich. Nur Daniel verließ den Raum früher oder kam gar nicht erst zu den Mahlzeiten. Am darauffolgenden Tag trafen sich alle wieder, lachten, lebten wie auf einem Schiff. Sie fragten sie, was sie in der Stadt gesehen habe; sie und Esmeralda unterhielten sich, wechselten Worte, die sich nicht widersprachen. Esmeralda bettete die großen Brüste auf die Tischplatte und lächelte, während sie sie hin und her wiegte, sachte und glänzend; der Vater kaute, ohne die Töchter anzusehen, hörte aber doch zu. Das Essen war üppiger als früher, man sprach davon, den Schreibwarenladen zu schließen, den Hof zu einem Landgut zu machen, das zahlende Gäste besuchen könnten. Die Mutter hörte zu, aß dabei genüsslich, die Augen in diese Vorstellung vertieft; Daniel schnitt das Fleisch präzise und gleichgültig, Virgínia lauschte den Worten des Vaters in stillem Kummer. Auf einmal fiel ihr Blick auf Esmeralda. Die hatte, ohne sich beobachtet zu wissen, die Mahlzeit unterbrochen, sie bleckte die Zähne, den Kiefer brutal vorgeschoben zu einem Lächeln voller Kraft, während sie aus halb geschlossenen Augen ins Nichts starrte, hart vor Hoffnung, fast vor Rache. Ja, Gäste, Gäste, Gäste – das schien die gierige Botschaft ihrer vollen, aufgeregten Brust. Und was gibt es aus der Stadt zu berichten?, fragte sie noch weiter. Die beiden blieben am Tisch sitzen, wenn alle anderen sich zurückgezogen hatten; sie ähnelten sich ein wenig, beide waren recht groß und kräftig gebaut. Tja, was? Virgínia stützte das Gesicht auf die Lehne eines freien Stuhls, dachte daran, wie sie an Fieber und Übelkeit gelitten hatte, wie das Zimmer etwas Raues bekam und ihre Einsamkeit schmerzlich wuchs, während sie sich vom Bett Richtung Boden neigte, den Blick vage auf die Ritzen und den Staub gerichtet dort unten auf den Dielen, und dabei betete sie zu Gott, sich doch endlich übergeben zu dürfen. Und wenn sie von der Liebe spräche, was sollte sie sagen? die Empfindung war, verlassen worden zu sein, während sie schlief, sie hatte zur Seite geblickt, Vicente war nicht da gewesen, und noch jetzt krampfte sich ihr das Herz zusammen, erschrocken, reuig und fassungslos: Sie hatte zu lange geschlafen. Ja, sie könnte etwas über eine Frau erzählen, die sie einmal gesehen hatte; sie beschrieb Esmeralda ihre Kleidung, nur das, deren Luxus. Doch nie würde sie diese Frau vergessen können, der sie in einem

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