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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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konnte, doch der weit, weit oben, in einer Anspannung von Gleichgewicht, auf ewig zu leben schien. Sie stützte sich gegen die Säule auf dem Balkon, betrachtete die vollen Sterne, so glänzend und ohne Flimmern, eingehüllt von einem vagen Nebellaken, Milchstraße! sie schaute, als wohnten sie und Vicente dem Schauspiel zusammen bei. Ohne sich daran zu erinnern, dass sie, wenn sie sich trafen, auf fast schon cholerische Weise allein sein wollte, um besser hinsehen zu können. Sie betrachtete die harten, ruhigen Sterne, nachdenklich vor dem Schlaf – sie erwog derart hohe Dinge, dass sie nicht einmal wenn sie sämtliche Leben gelebt hätte, ihren Gedanken hätte verwirklichen können: Vicente war ein Mann; er lebte jetzt weit weg. Ich spüre dich irgendwo und weiß nicht, wo du bist – gelang es ihr in Worten zu denken. Ihre Liebe war so fein, dass sie verlegen lächelte, durchbohrt von einer eisigen Empfindung, da zu sein. Ihr kam es außerordentlich seltsam vor, dass er an diesem selben Abend in dieser selben Welt lebte, dass sie nicht zusammen waren und sie nicht sehen konnte, was er tat, umso viel stärker als die Entfernung war ihr Gedanke von Liebe. Liebe war so, man begriff die Trennung nicht – schloss sie gefügig. Aber sie wusste auch nicht, ob sie in dieser Nacht den blassen, unrasierten Arzt an ihrer Seite hätte haben wollen, den einzigen Mann, von dem sie das unerklärliche, ersehnte und lustvolle Bedürfnis hatte, ein Kind zu bekommen; sie spürte, wie ihr Leben sich zusammenpresste vor Liebe zu ihm, ihr Herz dachte mit Kraft, mit Schüchternheit und Blut, komm zu mir, komm zu mir, für einen langen, schnellen Moment. Wie sie gestreift hatte, was sein könnte, ohne es doch berühren zu können … Was sie an ihm liebte, würde nicht zu verwirklichen sein, wie ein Stern in der Brust – so oft hatte sie das eigene Herz gespürt wie eine harte Luftblase, wie einen Kristall, der sich nicht übersetzen ließ. Vor allem hatte das, was sie an ihm liebte, blass und boshaft, wie er war, eine unmögliche Beschaffenheit, stechend wie ein akuter, lächerlicher Wunsch; sie fühlte sich auf sanfte Weise imstande, beiden zu gehören. Und Vicente war vollkommen, er war ein ruhiger Mann. Sie dachte mit überraschender Klarheit, gebrauchte für sich fast Worte: Ich liebe ihn wie das, was guttut, das, was einem Wohlsein beschert, aber nicht wie das, was außerhalb des Körpers liegt und ihn niemals besänftigen wird und dem man doch nachstrebt, bei aller Ernüchterung; mein Herz entflammt nicht in dieser Liebe, meine innerste Zärtlichkeit kommt nicht zum Tragen; ihre Liebe war fast eheliche Hingabe. Und doch schmerzte es sie, so zu denken, so zart war es, so dringlich und voller freudigem Leben, dass er in ihr war, dass er dort atmete, aß, schlief und nicht wusste, dass sie so über ihn denken könnte. Sie zwang sich streng zu einer Treue, deren geheimes Wesen allein sie kannte. Mein Liebster, mein Liebster – sagte sie, und mit einer gewissen Anstrengung bebte die Liebe endlich so sehr in ihr, dass sie zum ersten Mal zu einer Unwirklichkeit aufstieg und einer Uneroberung, sie schien nicht da zu sein, sondern ging auf in dem, was am meisten mitriss im Traum. Und immer noch, um sich Vicente anzunähern, überlegte sie, dass der Arzt, zusammen mit Arlete und dem Zoowächter, noch ungebunden war und wartete und dass sie ihn aus Ungeduld und Zeitmangel nicht aufgesogen hatte. Auch fühlte sie sich unglücklich, wie sie da am Balkon lehnte und dem Klappern einer fernen Kutsche hinterherlauschte – und plötzlich, aus reiner Wechselhaftigkeit, wünschte sie sich etwas Vollkommenes, etwas, das sie gleichsam umbrächte. Eine gewisse Glut packte sie, Vicente, nicht einmal er selbst wusste, wie nahezu vollkommen er sein konnte, nicht einmal er selbst wusste, wie er Hunger hatte und sagte, gehen wir doch ins Restaurant, und dann zögerte, welches Gericht er wählen sollte, und auf einmal rief er den Kellner mit einer ungezwungenen Geste, um ihr zu imponieren und auch sich selbst. Und gleichzeitig existierte die Welt um uns herum ohne Drohung. Vor allem waren all diese Gedanken auch die Lüge. An den Balkon gelehnt, wollte sie etwas mit größerer Heftigkeit, als sie jemals gewollt hatte – und traute sich nicht; man muss sich nur trauen, das ist es. Aber es war auch süß zu scheitern – sie beugte sich vor, legte das Gesicht an die Säule, lächelte, weil es seltsam und aufregend war, alleine im Dunkeln zu

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