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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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lächeln – im Grunde verwechselte sie die Eitelkeit neuer Wünsche mit dem Genuss, die Dinge zu besitzen, für die diese Wünsche standen, und mischte zu allem die ferne Verzweiflung der Unwissenheit. Und doch war es vollkommen, an der Seite dieses Augenblicks zu leben, als bildeten sie zusammen etwas, das von einem anderen gesehen werden müsste, einem Fremden gegenüber dem Moment und ihr selbst – sie nahm eine Sekunde lang die Gestalt des Fremden an und fand es vollkommen, in diesem Moment zu leben. Dann ging sie schlafen, es herrschte eine anheimelnde Kälte. Immer noch erlebte sie im Schlaf das Beste. Vor allem mochte sie es, wenn es regnete und sie die Wärme des Bettes spürte und den Glanz der Fensterscheibe; sie gab sich Mühe, nicht einzuschlafen, um vom Schlaf zu leben, während sie blinzelte, wohlig, mit sanfter, keuchender Schläue – so gut war das, um so viel sinnlicher als sich zu bewegen, als zu atmen, ja, sogar als zu atmen, als einen Mann zu lieben. Sie setzte solche Hoffnung auf das, was sie träumen könnte, es war nicht einmal nötig, darüber nachzudenken, schlafen zu gehen kam von allein, so weich wie weiches Fallen, wie das Innere des Körpers, sein Dahinleben ohne Bewusstsein, ohne Absicht.
    »Durch beständige Mühe kann sich eine Frau, die etwas im Kopf hat, den Ehemann vom Leib halten und nicht die ganze Zeit mit ihm leben, und wie sie das kann«, sagte die Mutter, während sie sich zu ihnen setzte, um zu sticken.
    »Was meinst du mit ›vom Leib halten‹?«, erkundigte sich Virgínia verwirrt.
    »Ach, Tochter, wir Frauen wissen doch alle, dass einem ein Mann nur im Weg steht.«
    Virgínia staunte stumm.
    »Ich finde es nicht recht, mich allzu sehr ins Leben meiner Töchter einzumischen. Anscheinend hat nur Daniel heiraten wollen: Das Mädchen ist wirklich anständig, etwas still, aber sie scheint zu ihm zu passen, wenigstens ist das mein Eindruck, und ihr wisst ja, jeder kann sich irren. So oder so müssen wir uns mit dem zufriedengeben, was geschieht. Eigentlich glaube ich, ihr tut gut daran, nicht zu heiraten.« Sie unterbrach die Stickarbeit, starrte eine Zeitlang mit schmalen Lidern vor sich hin. »Im Grunde ist alles nicht sehr praktisch«, sagte sie klug, blinzelte dabei ein wenig, und dies, spürte sie undeutlich, war das Höchste, was sie jemals an Verständnis für ihre Umgebung erreicht hatte.
    Während Esmeralda sie reden hörte, funkelten ihre Augen in dem verhärteten Gesicht. Schon jetzt musste sie der Mutter die Schuld geben. Virgínia fragte sie in der Halbintimität, die zwischen ihnen umging:
    »Als Kind habe ich Andeutungen gehört, dass da mal was war … etwas mit einem Jungen, ich weiß nicht genau … Papa hat nochmal so was gesagt, damals, als ich so dumm war von dem anderen Mal zu erzählen, deinem Treffen im Garten.«
    Esmeralda errötete, ihr Gesicht verzog sich zu einem feinen Lächeln.
    »Eine Dummheit war das«, sagte sie betont unbekümmert. »Du weißt ja, wie ›er‹ ist, er macht aus einer Mücke einen Elefanten. Ich wünschte, es wäre nicht nur eine Dummheit gewesen, sondern eine richtige Sünde, dann wäre ich jetzt wenigstens frei«, schloss sie heftig, aber gedämpft, als wäre dies ein alter Gedanke, den sie aus Müdigkeit nun doch noch preisgab.
    »Aber frei kannst du doch von jetzt ab sein oder wann du willst.«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie, das Gesicht verkniffen und rot.
    »Warum nicht?«
    »Warum nicht?«, äffte sie sie wütend nach. »Glaubst du, man kann einfach alles aufgeben, was man hat, ohne Zuhause dastehen, ohne irgendwas … bloß um frei zu sein?« Sie hielt einen Moment inne, das Gesicht in der Schwebe, in vagem Begreifen, dass sie sich selber Unrecht tat … »Bloß um frei zu sein?«, wiederholte sie und hörte dabei mit wachsender Verzweiflung den Klang ihrer Stimme. »Wozu überhaupt davon reden? scher dich zum Teufel!«, rief sie wutentbrannt. In einer feinen Lust, nicht frei von Überraschung, spürte sie direkt das harte Herz des Lebens, den erneuerten Körper, der in bebender Lauheit atmete, in rechtmäßigem Zorn; ein akuter Bewegungsdrang stieg ihr die Beine hoch, breitete sich heiß und schmerzlich in der Brust aus, kam im Gesicht zum Ausgleich, blieb stehen und befreite sich dann über die Augen, die plötzlich glänzend und zärtlich wurden. Ihre Miene erlosch sachte in einem Schatten aus Ungewissheit und Wehmut. So, da lebte sie nur von sich selbst, nur von sich selbst … von der eigenen

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