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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Lächeln und scheuen, fast nachdenklichen Blicken offenbarten sie nach und nach die Familie. Ruth war immer ein aufrichtiges Kind gewesen, zurückhaltend und strebsam, man hatte sich kaum getraut, es in den Arm zu nehmen. Und auf einmal hatte sie sich einen jungen Mann gewählt und sollte jetzt weit weg leben! es war, als habe sie ebendies schon immer im Schilde geführt, während die Familie nichts ahnte – die wehrlose Mutter sah ihr von ferne zu, während die Tochter Tee servierte und mit einem Lächeln hörte, wie der Vater und Daniel sich unterhielten –, aber andererseits könne man sich auch nicht beschweren, sagte die Mutter und folgte ihr dabei noch immer mit den Augen, man könne sich nicht beschweren, wo doch auch Daniel Opfer ihrer Pläne geworden sei? Überrascht und fast schon verächtlich gegenüber ihrer so unweiblichen Entscheidung – die Mutter schien um ihre Zukunft als Frau zu fürchten –, überrascht und fast schon verächtlich, freudig und bewegt erfuhren sie von ihrer Entscheidung, sechs Monate auf Granja Quieta beim Ehemann zu leben und sechs Monate bei den Eltern und jenen Schwestern, die sie mit Bestimmtheit, Strenge und Zärtlichkeit zu lieben schien. Die Schwestern, gekleidet wie reiche junge Damen, langweilten sich unter dem frisierten Haar, ertrugen mit nahezu komischen Augen den Besuch Virgínias und des »Verlobten«; aus welch raschem Stoff sie waren. – Sie sah zu Daniel hinüber, der schwankende Schatten eines Zweigs verdunkelte und erhellte sein Gesicht, sie erriet ohne Überraschung, dass er sich in Ruth verliebt hatte. In der Liebe geht’s nicht nur um Kinder! Der Satz erreichte sie von neuem ohne Sinn, unwillkommen und ermüdend. Und dann nicht nur der Satz, sondern vielmehr die eigene Bewegung, die eigenen Gefühle, Ruths lächelndes Schweigen, die Schwierigkeit, der Friede, alles vermischte sich zu ein und derselben langsamen, dickflüssigen Masse, und sie atmete die Luft ein, das reine Dasein, mit einem besiegten, fast jähzornigen Seufzen.
    »Warum hast du nicht dazwischengeredet?«, sagte er.
    Aber … Wie jetzt? … Was redete er da?! Sie hatte nichts gefragt … Was redete er da? Was warf er ihr vor? … Sie hatte doch nichts gefragt … Auf einmal verstand sie, sah nicht hin, beherrschte ihr hartes, angespanntes Gesicht.
    »Warum hast du nicht dazwischengeredet … Du musstest doch wissen, dass es aus einer Art Verzweiflung war. Ich bin so verloren.« Er kniff die Augen zusammen, das Gesicht ruhig, die Hände unter dem Nacken; die undurchsichtigen Zähne, eingefasst in nahezu weißes Zahnfleisch, denn er schien zu lächeln. »Ich bin so verloren. Weil du mich hast irren lassen …«
    Das Fehlen jeglicher Scham, diese Grobheit in der Beichte. Sie fand ihn brutal und begierig, diesen Mann, dem nur geschah, was er imstande war zu begreifen. Dafür bin ich gekommen, um mich einem Tier zu stellen, fast überkam sie Hass auf ihn, ach, Irenes Gäste hatten recht, wenn sie über ihn lachten, sie sah ihn an, schonungslos, und spürte ihr eigenes Gesicht rot vor Verstörung. Wie alt er wirkte, die Stirn verbrannt, die Falten … sie sah ihn verzweifelt an, biss auf die Zähne: Aber nein, wenn er alt wird, was mache dann ich? Er darf nicht alt werden, er darf nicht, er darf nicht.
    »Warum hat du mich irren lassen?«, wiederholte er plötzlich, seine monotone Stimme erschreckte sie.
    Verzweiflung? nein, sie wusste es nicht. Ich schwöre, Daniel, ich schwöre, wie hätte ich dumme Egoistin erraten sollen – sie sah sich vor ihrem geistigen Auge, wie sie in der Wohnung saß und nichts tat, aus dem Fenster blickte, auf gemeine Weise den einen oder anderen Mann begehrte, wie sie wartete, Hass auf sich selbst überkam sie, in tiefer Überraschung darüber, vergessen zu haben, dass Daniel das Wichtigste war. Aber gleichzeitig wie vergessen, dass sie beide von klein auf … sie, die ihn rufen wollte und nicht konnte, er, der nicht hörte … der Hut … Er würde nie erfahren, wie schwierig es gewesen war, ihn anzusprechen, wenn man Hilfe brauchte oder ihm helfen wollte, wie allein er schon immer gewesen war. Das Herz tat ihr weh, als sie sagte:
    »Du irrst mit einer Kraft, die sich nicht aufhalten lässt … Ich finde sogar, wenn man so heftig irrt, ist das schöner, als wenn man richtig liegt, Daniel, das ist, als wäre man ein Held …« Ja, sie hatte es endlich gesagt. Als hörte sie sich selbst zu, wiederholte sie sanft und gelassen: »Du bist ein

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