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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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eine beliebige Kraft des Körpers oder der Seele zu überwinden. Sie war zu blöd, um Probleme zu haben, das sagte immer wieder Daniel.
    Danach die verlorene Zeit – er, der er auf Abstand ging, im Dunst voranschritt und bei seiner Rückkehr länger war trauriger unschuldiger und doch unüberwindlich. Sein Leben wurde immer starrsinniger. Auch sie zog sich in Müdigkeiten zurück, in leichte Schlaflosigkeit, doch bald zeigte sie sich wieder glatt und still, die Haut gespannt, die Beine aufgekratzt von Zweigen, ein Auge müder als das andere. Zu der Zeit sagte Daniel ihr erstmals, fast ohne Absicht:
    »Bei Gott und beim Teufel …«
    Sie hielt inne. Ein großes Schweigen setzte ein. Sie sah ihn an und erkannte in seinem zittrigen Triumph dieselbe Erschütterung. Er hatte ihr schüchtern einen Schrei gebracht. Sie starrten sich kurz an, und alles war unentschieden, zerbrechlich, so jung und im Entstehen. Und alles war so gefährlich und verworren, dass sie beide fast ruckartig den Blick abwandten. Aber es war etwas Verzaubertes zwischen ihnen in diesem Moment. Obwohl sie sich nie recht um Gott gekümmert hatte und nur selten betete. Bei der Vorstellung von Ihm blieb sie überraschend ruhig und unschuldig, ohne auch nur einen Gedanken. Daniel entfernte sich immer mehr. In jener Zeit fing er an, schwierige Dinge zu denken und zu sagen, mit Vergnügen und Liebe. Sie lauschte beunruhigt. Er ging auf den schummerigen Gängen des Hauses auf und ab, mit verschränkten Armen, gedankenverloren. Virgínia studierte vergeblich das Gesicht mit dem zusammengepressten Mund, die dunklen, unentschlossenen Augen, diese fast schon Hässlichkeit, die zunahm mit den Jahren, dem Leiden und dem Stolz.
    »An was denkst du?«, konnte sie sich nicht zurückhalten zu fragen und machte dabei ihre Stimme sanft und sich demütig klein.
    »An nichts«, antwortete er.
    Und wenn sie es wagte, weiterzufragen, erhielt sie eine Antwort, die sie noch mehr beunruhigte durch ihre Rätselhaftigkeit und die Eifersucht, die sie in ihr weckte.
    »Ich denke an Gott.«
    »Aber was über Gott?«, fragte sie mühsam, mit leiser, einschmeichelnder Stimme.
    »Weiß ich nicht!«, schrie er grob, gereizt, als machte sie ihm Vorwürfe. »Du bist ohnehin so blöd, dass du eher sterben würdest als was zu verstehen« – und damit marschierte er weiter über die Korridore, als könnte das Gehen ihm klarere Gedanken verschaffen. Im besten Fall brachte sie es dahin, dass sie ihn begleiten durfte, hin und her, hin und her, eilig, wenn er sich beeilte, in angespannter, stiller Haltung und in einem gewissen Abstand, wenn er stehen blieb. Daniel sprach ständig über seine Zukunft. Sie wollte das nicht, wollte nicht… als würde er, wenn er sich mitten in die Welt vorwagte, die eigenen Schritte verlieren. Doch ihm zuliebe wollte sie ihn verstehen und redete sich in falscher Fröhlichkeit ein, dass diese neue Intelligenz Daniels ihn so sehr verändere, wie es das Leben eines Menschen veränderte, wenn er klöppeln konnte. Sie behandelte ihn partout von Gleich zu Gleich, ging sorgsam mit ihm um, als wäre er aus demselben weichen Stoff wie Blumen. Und das, obwohl er manchmal so ruppig war, dass er mit einer Geste ein Mädchen auslöschte. Sie war ganz blass und schwindelig unter den Momenten der Kränkung. Und liebte ihn dabei so sehr, wie sie niemals sollte lieben können.

LAG ES AN DEM ERTRUNKENEN , dass die Gesellschaft der Schatten geboren war? Sie erahnten nun den verzauberten und gefährlichen Anfang des Unbekannten, den Impuls, der von der Angst her kam. Daniel sagte also zu ihr:
    »Wir gründen die Gesellschaft der Schatten.«
    Noch bevor sie erfahren hatte, worum es ging, hatte Virgínia es bereits auf unklare Weise mit dem Körper erfasst und sich einverstanden erklärt. Die Gesellschaft der Schatten hatte merkwürdige, unbestimmte Ziele. Sie selbst kannten diese Ziele nicht und vermischten die Vorgaben mit einer fast schon verzweifelten Unwissenheit. Die Gesellschaft der Schatten hatte die Aufgabe, das Gehölz zu erkunden. Ja, ja. Aber warum? In der Nähe des Hauses lag ein fast zugewachsener Pfad, über den man zur Dunkelheit gelangte. Ja, zur Dunkelheit, aber warum?
    »Weil Einsamkeit … Die Einsamkeit – die Devise der Gesellschaft ist«, bestimmte Daniel.
    »Was?« Virgínia hatte Schwierigkeiten, ihm zu folgen.
    »Alles, was einen erschreckt, weil man allein ist, also, genau das müssen wir suchen«, zögerte er.
    Sie waren für einen Moment schwankend,

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