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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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leuchtete schwach im schlafenden Licht aus dem Hof. Die Tropfen rannen zitternd, glänzend, geheim das Glas hinunter. Aber das Laub löste sich von den Bäumen und schlug vom Wind mitgerissen gegen die Scheibe, mit einem kaum wahrnehmbaren Geräusch. Sie hätte gerne eine lange Geschichte erzählt oder gehört, nur aus Wörtern, doch Daniel blieb in diesen Zeiten wortkarg und schwierig, fast so, als gäbe es ihn gar nicht in dem Haus. Sie verbrachte dann mehr Zeit alleine, sah hinaus auf den Regen. Sie fühlte sich innerlich gerötet und kalt, in ihr wurde ein Vogel langsam erstickt. Aber das war so sehr leben, dass die Stunden glücklich und fern verstrichen, als wären sie schon geprägt von Wehmut. Von ihrem breiten Bett aus betrachtete sie die Decke, die sich in Schatten verlor, die Wände, die mit dem Halbdunkel zusammenflossen. Nur das Fenster glänzte still, nur das nasse Geräusch, unaufhörlich. In der Luft schwebte ein unterdrückter Atem durchs Dunkel wie der stete Flügelschlag eines Falters. Sie wandte sich vom Fenster ab, drehte sich langsam im Ehebett der Großmutter. Das Falterdasein keuchte weiter, den Blick auf sie geheftet. Ein Wind aus Schreien kam aus dem Wald wie Seelen auf verzweifelter Flucht. Es mischten sich darin die Rufe der Eulen und das Wasser, das Rauschen des Laubs, das letzte trockene Knacken vor der Feuchtigkeit, alles verbunden in derselben stechenden, irrsinnigen Flucht, ein Wind aus Schreien, der das Anwesen durchdrang wie ein Hauch. Virgínia zog an der schweren, heißen Bettdecke, die ein wenig nach Asche roch. Darunter wurden ihr Körper und der enge Raum, den er einnahm, zu einer vertrauten Welt. Da ließ sie die Angst endlich abfließen, nun, da sie es warm hatte. Sie gab sich sogar Mühe, nicht einzuschlafen, um alles zu spüren, bis alles sich drehte aus eigener Kraft und sich in etwas anderes verwandelte als Angst. So verpasste sie nichts von der Stille der Winternacht. Die Tage waren von einer vollkommenen Traurigkeit, die am Ende überströmte und in eine Lautlosigkeit abglitt, jenseits derer nichts anderes mehr war. Die Zweige bogen sich nervös im Wind, das Wasser floss rasch und glänzend über die Blätter, ein Impuls ohne Richtung quälte die Bäume, und aus dem Tosen ohne Gleichmaß erhob sich wie ein starker, frischer Wind die Hoffnung, zu lieben und zu leben.
    Sie trat hinters Haus, den alten Umhang übergeworfen. Einen Augenblick lang noch verweilte sie vor der Halbklarheit des dahinfließenden Regens, dann ging sie weiter. Vor sich konnte sie nicht viel sehen, ihre Augen blieben am Regen hängen, der als dichter Rauch von der Erde aufzusteigen schien. Mit kaltem Gesicht schritt sie voran, und etwas in ihrem Herzen war stechend, hoch und unentschlossen. Sie öffnete ein Stück weit die Lippen und empfing den eisigen Nebel im warmen Mittelpunkt ihres Körpers. Im Gehen schob sie die Zweige beiseite, die schwer von Wasser waren, schmerzlich, zitterig. Sie sah sich um und konnte das Haus nicht mehr erkennen, Regen, nur Regen. Da sagte sie mit einer Stimme, die fremd und wagemutig klang unter dem Rauschen des dahinfließenden Wassers:
    »Ich bin allein.«
    Als hätte sie mehr gesagt, als sie konnte, ließ sie einen Moment lang den Kopf hängen, erschrocken, fröhlich, in sich hineinhorchend. Sie hob das nasse Gesicht und hatte den Drang, etwas zu sagen, das mehr wäre als sie, mehr als alles.
    »Ich bin allein, ich bin allein«, wiederholte sie wie ein kleiner krähender Hahn.
    Danach ging sie zurück ins Haus. Sie zog trockene Kleidung an, strich das nasse, abgerubbelte Haar glatt, sorgte für sich, ganz ernsthaft. Ihr Bild erschien in dem alten, angelaufenen Spiegel zwischen den Schatten des Gästezimmers, und da war sie, zögernd und feucht wie die Helligkeit eines verregneten Morgens auf einer Reise. Das weiße Gesicht, das über der groben Bluse hing, war fremd und jung, ihre Augen versteckten sich im warmen Licht, und die Lippen atmeten ruhig, unschuldig. Etwas in ihr funkelte sanft in prachtvoller Unwissenheit, so wie in einer Gottheit mit freiliegendem Herzen, in ihrem Dasein fand sich das, was hinter dem Martyrium lag, aber sie war nicht den Märtyrertod gestorben, man hatte sie viele Male erschaffen. Sie betrachtete sich in Ruhe, lauschte dabei dem Regen, der niederprasselte in einem einzigen Gesang. Da war sie, flackernd wie leichte, langsame Flammen, die Umrisse in Schatten und Licht belebten den Spiegel.
    »Ich«, sprach sie ins eiskalte Glas, mit

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