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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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einander weiter, geblendet und bedrückt, während auch Virgínia sie unter faszinierenden Entschuldigungen fortzuschieben schien; sie lachten unterwürfig und bekümmert, verschwanden im Treppenhaus, noch immer das weiße Lächeln im Gesicht. Virgínia hielt inne und lauschte für einen Moment der ruhigen Stille, die ihrer Aufregung gefolgt war … noch einen Moment. Noch einen Augenblick. Sie war geistesabwesend und ohne Gedanken, doch dabei schien ihr, als würde sie durch eine Krankheit des Willens niemals die Kraft aufbringen können, sich bewegen zu wollen. Sie bat sich um noch einen Moment, noch einen. Ihr selbst widerstrebte es, sich das zuzugestehen. Da setzte sie sich in Bewegung, ging sich kämmen. Nachdenklich stand sie da, und ihr ging durch den Sinn, dass sie die Kränkung der Wäschefrauen nie vergessen würde, aber im selben Augenblick kam ihr der Gedanke, es sei spät, und sie schlug für immer einen anderen Weg ein. Bevor sie die Wohnung verließ, mit einer Hand an der Türklinke, dem kerzengeraden und vorsichtigen Gefühl des Puders im Gesicht und der Zerbrechlichkeit ihres Äußeren, fiel es ihr wieder ein, und sie nahm mit langsamer Kälte eine Schere, durchtrennte den Stiel dreier Blumen, dieser harten, undurchsichtigen Blumen, steckte sie sich ans Dekolleté, da, wo ihre großen Brüste wohnten, und ihr Herz, im Verborgenen. Wie zum Protest stieg ihr ein grüner Geruch in die Nase, so herb für die Zähne, dass sie wieder zu sich kam. Nein. Sie wollte nicht zu dem Essen gehen, sie hatte Angst!, dachte sie zum ersten Mal klar und mit leichter Klage, verstand so den blassen Aufruhr, der ihr benommen in der Brust hochstieg … Sie wollte nicht, das war es … Nein, das war es nicht, wie konnte sie so danebenliegen? … im Gegenteil … was für ein Durcheinander … sie wollte mit solcher Macht hin … sie seufzte schnell, spürte die Taille schon verschwitzt unter dem leichten Kleid, das sie zusammenschnürte … ihr wurde klar, dass der Nachmittag natürlich traurig gewesen war und zu keinem Zeitpunkt fröhlich … Ach, im Gegenteil, im Gegenteil, die Blumen schoben sie vorwärts mit einem Schwung, fröhlich und nervös … schrecklich verzweifelt … und sie würde Vicente sehen.
    Die Baustellen waren nun in Schatten getaucht, breite, unwiderrufliche Flecken – sah sie, als sie die verlassene Straße überquerte. Ein reiner Geruch nach Kalk, Winkeln, Zement und Kälte kam aus den Trümmern, zwischen denen die Stille des einen oder anderen Steinsplitters blinkte. Mit Genuss atmete sie den Nebel ein, der von der feuchten Baustelle aufzusteigen schien, und ging weiter, in einem kontrollierten Impuls, der sie zu dem Abendessen führen, aber auch noch weiterbringen könnte … gleichsam endlos im hellen, schwankenden Bus, in dem sie Platz genommen hatte mit ihrem weißen Kleid und den widerspenstigen Blumen; sie hielt die Augen nach vorne gerichtet, wie um die Wirklichkeit dieser Momente zu stützen – mit einer Hand drückte sie den breitkrempigen weißen Hut an den Kopf, den Hals hart und umsichtig. Und da: Schon von weitem, während sie aus dem Bus sprang und über die blanken Pflastersteine ging und unbedingt über das, was geschehen mochte, hinweg dieselbe Wirklichkeit aufrechterhielt, sich aufrichtend wie ein Blumenbukett über der Menge – da sah sie Vicente mit Adriano warten. So plötzlich erblickte sie ihn zu ihrer Überraschung, dass sich die Blumen in einer Bewegung aus Leben und Verwirrung mit dem toten Geruch der Baustellen verbanden, mit dem vagen, verlorenen Nachmittag, traurig oder fröhlich? Mit dem Impuls, der sie voller Hoffnung zum Abendessen geweht hatte, mit den still daliegenden Baustellen … Und dabei vermischten sie sich mit all jenem, zu dem sie sagte: Ja! Ja!, fast gereizt, und sie kam intensiv ins Einvernehmen mit dem Moment; ja, mit einem Blick war sie im Einvernehmen und begriff mit dem Scharfsinn eines Feuerwerks das gelbe, dickflüssige Licht, das von den Laternenmasten fiel, ein Zittern in dünnen Strahlen inmitten der Halbdunkelheit der Nacht mit ihren Geräuschen; sie spürte hinter den zarten Lichtern, diese durchquerend, die sanften, ein wenig grellen Klänge der Autoreifen und der eiligen Unterhaltungen, fast einen Schrei, der aufstieg und das Gemurmel in rasche Stille versetzte, die Bodenplatten des Gehsteigs, die schimmerten, als hätte es gerade erst geregnet, vor allem aber von fern, wie hergeweht von einem weiten, freien Wind, die

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